9. - 10. September (Tage 76 - 77)

Zwangspause in Jefferson City



Hermine verhindert Hermanns Fahrt nach Hermann

9:00 Uhr:
Die Ausläufer des Hurricanes „Hermine“ setzen halb Amerika unter Wasser und hindern mich, „Hörmän se Tschörmän“, daran, endlich nach „Hermann“ am Missouri River zu radeln. Der Hammer bei der Sache: ES REGNET NICHT! Jedenfalls noch nicht. Seit gestern hängen zwar dunkelschwarze Wolken hartnäckig am Firmament, der Himmel hat übles Bauchgrollen, es zwickt und rumpelt und zuckt und würgt - ABER ES REGNET NICHT. Ich hätte gestern problemlos zelten und heute bedenkenlos radeln können - was jedoch bei Kenntnis der gestrigen Wettervorhersagen nur Lebensmüde und Kiemenatmer gewagt hätten.

13:00 Uhr
Jetzt haben Sie das seit gestern für heute angekündigte Wetter auf morgen verschoben. Behalten die Wetterfrösche recht, würde mich Hermine DREI NÄCHTE und ZWEI Tage lang hier festhalten. Mindestens, den es sind DREI Regentage in Folge angekündigt. Dann ist der Katy Trail ein Schwamm und muss erst erst mal trocknen. Oh my… Katy und Hermine machen es mir nicht leicht. Frauen... Was bleibt, ist das Prinzip Hoffnung. Vielleicht ist alles halb so wild, der Himmel muss sich nicht übergeben, kippt sich einen Jägermeister hinter die Binde und morgen scheint wieder die Sonne.

Den Rest dieses Blogeintrags widme ich dem ehemaligen Fußballer Jürgen "Die Cobra" Wegmann, genauer gesagt seinem berühmten Spruch: „Erst hatten wir kein Glück, und dann kam auch noch Pech dazu.“

17:00 Uhr
Jetzt habe ich den Salat. Das Wetter ist jetzt war endlich schlecht, aber mir auch. Und wie. Hermine durchdringt offenbar auch Magenwände.

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10. September, 05:00 Uhr:
Die Nacht war der reine Horror. Ich will euch die Einzelheiten ersparen; nur soviel: Mein Zimmer verfügt über kein eigenes Badezimmer. Ich muss erst 15 Schritte den Gang entlang gehen, dann 14 Stufen hinab laufen, eine 90-Grad-Drehung machen, wieder 14 Stufen laufen, wieder eine 90-Grad-Drehung vollführen und erneut 15 Schritte bis zum Badezimmer bewältigen. Für jemanden, der das Äquivalent eines Smarts mit dem Fahrrad durch Amerika schleppt, eigentlich keine große Herausforderung, aber gegen 02:00 Uhr morgens war ich nach zahllosem Treppauf-Treppab samt … aber das wollte ich ja aussparen… also nach ein paar Stunden war ich derart schlapp, dass ich mir einfach nicht mehr vorstellen konnte, aus der Übelkeits-Erleichterungs-Andachtshaltung noch einmal auf die Beine und dann sogar noch den ganzen Weg inclusive EINEM Stockwerk nach OBEN bis zu meinem Bett zurückzulaufen. No way! Also habe ich mich auf dem Badvorleger zusammengekauert, ein Handtuch zum Kopfkissen ernannt, ein weiteres zur Bettdecke umfunktioniert und die Nacht an Örtchen und Stelle verbracht.

09:00 Uhr
Wieder im Bett. Schlafen, ich will nur schlafen.

14:00 Uhr
Ich glaube, draussen regnet es. Egal, ich will schlafen, nur schlafen.

17:00 Uhr
Tom hat mir ein halbes Toastbrot und ein Glas Orangensaft aufs Zimmer gebracht. Er hatte sich Sorgen gemacht, wollte mich aber nicht stören. Tom ist ein Engel. Hunger habe ich zwar keinen, aber nach nach 24 Stunden ohne Essen ist das Ganze eine Belastungstest wert.

17:10 Uhr
10 Minuten für eine halbe Toastscheibe. Mann, war das viel! So viel essen auf EINMAL! Wenn Angie wüsste, das ich ich nicht nur in Zeitlupe sondern auch homöopatische Portionen an Nahrung zu mir nehmen kann… Während ich normalerweise (nach einem anstrengenden Radeltag wohlgermerkt) einen Liter vom Kaltgetränk meines Vertrauens in 2,31 Sekunden trocken trinke, nippt sie an einem halb gefüllten Fingerhut schon mal einen Nachmittag lang hin. Ich werde nie wieder schnell essen oder trinken. Nie wieder! So, und jetzt will ich wieder schlafen.

23:00 Uhr
Draussen wieder Blitz und Donner und Regen, als gäbe es kein Morgen.

02:00 Uhr
Das Unwetter beruhigt sich langsam, meine Innereien auch.

05:00 Uhr
Ahh! Es geht aufwärts! Ich freue mich aufs Frühstück. Ich mich für die leichteste aller Varianten entschieden : Obst! Wer mich kennt, der weiß, dass ich mich jetzt normalerweise fühlen müsste wie ein Wolf, dem man Tofu vorsetzt. So ändern sich manchmal die Dinge. Im Augenblick erscheint mir der Gedanke an einen Pfirsich und eine Birne sogar verlockend. Hoffentlich bin ich bald wirklich gesund und darf Obst wieder nicht mögen. Draußen herrscht nach dem nächtlichen Unwetter noch Waschküche, aber im Laufe des Tages soll die Sonne durchkommen.

Nach 30 Stunden ohne Essen und angetrieben von der geballten Kalorienwucht eines Pfirsichs und einer Birne werde ich mich also in wenigen Stunden wieder in den Sattel schwingen. Mal sehen…

Till Senn

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