Man at work (Tage 36 - 42)

Wie im letzten Blogeintrag angekündigt, lege ich eine 1-wöchige Arbeitspause ein. Um Mißverständnissen vorzubeugen. Ich verbringe die Arbeitswoche nicht auf diesem Campingplatz, sondern in einem Hotelzimmer in Denver, wo ich während es Arbeitens gleichzeitig meine Fitness auf dem aktuellen Level halten kann, bis Angie ankommt und wir die Tour fortsetzen werden.

Beim ersten Versuch hatte ich den Selbstauslöser dämlicherweise noch auf 0,01 Sekunden eingestellt:


Aber dann hat's gepasst:



Die nächste Etappe mit dem Rad ist für Samstag, 07. August eingeplant. Wann ich anschließend im einsamen Wyoming wieder Internet für die nächsten Aktualisierung des Blogs habe, kann ich nicht vorher sagen. Herrschaften, man kann sich KEINE Vorstellung von diesen endlosen und unbewohnten Weiten inmitten der Rocky Mountains machen, wenn man sie nicht kurbelnd erlebt hat. Keine drei Kilometer neben der Autobahn beginnt das Ende der Welt. Nur Wind und Sonne (bzw. Regen) und für den Fall der Fälle eine letzte Kugel im Revolver: [Drei, Vier: "Do not forsake me oh my darlin'..."]

Damit ihr demnächst nicht nach dem dritten vergeblichen Blick in den Blog verärgert den Computer aus dem Fenster werft, biete ich euch einen Weckruf per Mail an: Wer nach der langen Pause von mir per Mail auf den nächsten aktuellen Blogeintrag hingewiesen werden will, schreibe mir eine kurze Notiz an Hermann.Plasa@googlemail.com. Betreff: "Weckruf erbeten!" Ich schicke dann ein Sammelmail. Achtung! Diesen Service gibt's nur nach längeren und vorhersehbaren Unterbrechungen, nicht täglich.


Till Senn


27. - 30. Juli (Tage 32 - 35)

Tanz auf dem Vulkan

Für alle, die sich erst später zugeschaltet haben bzw. mit meinem Gedächtnis gestraft sind: Weil zwischen Missoula und Denver kein Mietauto (one way) aufzutreiben war, Passagierzüge in den USA nicht bekannt sind und Greyhound aus vierunddreißig anderen Gründen ausscheidet, Be aber am 31. Juli in Denver ins Flugzeug steigen muß, haben wir uns einen Kompromiss überlegt, der die Lücke in meiner Gesamttour auf ein Mindestmaß begrenzt.
  1. Von Missoula aus soweit radeln wie möglich (24./25. Juli = bis zum Chief Joseph Pass)
  2. Wieder zurück nach Missoula radeln (25./26. Juli)
  3. Auto mieten und Räder im Auto nach Rawlins, Wyoming transportieren und dort ... irgendwo deponieren.
  4. Weiter nach Denver fahren, nach Deutschland zurück fliegen (Be), Auto zurück geben und eine Arbeitswoche einlegen (Hermann)
  5. Am 06. August mit Angie im Greyhound Bus von Denver nach Rawlins zurückfahren und Radtour fortsetzen.
Auf geht's: So bringt man zwei komplette Räder (komplett zerlegt) in einen ganz normalen Kofferraum.


Anhänger, Anhängertasche und alle sonstigen Packtaschen und Zelte passen auf die Rückbank, Hermann und Be vorne rein. Klappe zu, Affe tot - und los geht's.

Was sich hier noch andeutet, lässt die Sintflut zum Nieselregen verkümmern. Leute, das war ein Unwetter, wie ich es noch nie erlebt habe. Dokumentiert mit Videokamera. Du meine Güte.... nichts für schwache Nerven und Nichtschwimmer.


Wer als Radler in ein derartiges Armageddon gerät, dem gnade jenes höhere Wesen, das wir nicht alle verehren. Das Inferno ist irgendwann vorüber, die Natur atmet wieder normal und auch mein Blutdruck ist wieder 80 zu 120.


Aus dem Zelt noch schnell ein richtiges Kitsch-Foto und ab in den Schlafsack. Gute Nacht.


Auf unserem Weg liegt der Yellowstone Nationalpark, DAS Prunkstück der USA und Neuland für mich. YELLOWSTONE NATIONALPARK-KOMMA-DER-DOPPELPUNKT: Der Trapper John Colter war im Jahre 1807 vermutlich der erste Weiße, der das wilde und schwer zugängliche Gebiet des heutigen Yellowstone Parks betrat, das damals bereits seit 12.000 Jahren von - es kommt ein Zungenbrecher - shoshonisch sprechenden Stammesgruppen bevölkert war. 1810, nach Colters Rückkehr in die zu unrecht so genannte zivilisierte Welt, interessierte sich niemand für seine Berichte und Erzählungen von dieser einzigartigen Gegend. Erst ein halbes Jahrhundert später erkundeten zwei Expeditionen das Gebiet und schon wenige Monate nach dem Ender der zweiten Expedition, wurde im März 1872 der Yellowstone Nationalpark gegründet. Die zivilisierte Welt hatte 1880 dann auch endlich - nach 12.000 Jahren uneingeschränktem Bleiberecht - den letzten Indianer aus dem Parkgebiet verjagt oder umgebracht.

Der Yellowstone-Park liegt im Kessel des Yellowstone-Vulkans, genau über der Magmakammer. Für mich unvorstellbar: Vulkankessel ist so groß wie Korsika! Damit zählt der Yellowstone-Vulkan zur Gruppe der Supervulkane und ist der größte seiner Art auf dem amerikanischen Kontinent. Die Magmaküche kennt keinen Feierabend. Überall brodelt, blubbert und dampft es. Die Köche in der Magmakammer erhitzen das von Bergen herabfließende und im porösen Lavagestein versickernde Wasser und befördern es anschließend brodelnd, zischend und blubbernd wieder an die Oberfläche. Der größte natürliche Durchlauferhitzer, den ich kenne. An allen Ecken und Enden gibt es Geysire, Schlammtöpfe und heiße Quellen. Bekanntester Vertreter ist der "Old Faithful", der pünktlich wie - beinahe hätte ich gesagt "die Bahn" - der pünktlich wie - beinahe hätte ich gesagt "die Post" oder "die Maurer" - nun, der jedenfalls in selten erlebter Pünktlichkeit (derzeit 60 - 90 Minuten) seine Wasserfontänen gen Himmel schießt.

Wir haben zwei Tage im Park verbracht, sind viel gefahren, noch mehr gelaufen und haben etwa 7.839 Fotos pro Minute geschossen. Bevor ich mich jetzt aber in spätpuberträrer Begeisterung vor aller Welt blamiere, lasse ich lieber die Bilder für sich sprechen und überlasse die ausführliche Beschreibung dieser unerschöpflichen Quelle an Naturschätzen jenen, die das auch wirklich können. Ich war und bin einfach nur sprachlos:








Die folgenden Bilder, aufgenommen auf dem weiteren Weg durch Wyoming, hätten auch aus dem Yellowstone Park sein können. Welch eine Landschaft.






Joe's weekly

Zwischenbilanz am 26. 07:

Gesamt-KM: 1.909
Höhenmeter: 11.335
Zeit im Sattel: 110:21 Stunden

Pannenstatistik:
1 Platten (Anhänger)
0 Platten (Fahrräder)

26. Juli (Tag 31)

Bitterroot Valley Campground - Missoula

Tages-Km: 97*
Gesamt-Km: 1.909
Höhenmeter: 232
Zeit im Sattel: 04:31
Wetter: bewölkt
Temperatur: 20 - 27° C

* Bevor sich die Genaunachrechner jetzt öffentlich den Kopf darüber zerbrechen, warum wir von Missoula zum Campground 100 Kilometer, aber dieselbe Strecke zurück nur 97 Kilometer notiert haben, liefere ich die Antwort in vorauseilendem Gehorsam: Als wir ZUM Campground geradelt sind, mußten wir kurz vor der Stadtgrenze Missoulas nochmal umdrehen und einen Radldoktor konsultieren, weil Be, genauer gesagt sein rechter Schuh, eine Schraube verloren hat und die Klickies nicht mehr klicken wollten. Ok?


Abgesang auf die Männlichkeit
Aus gegebenem Anlass noch einmal das Bild des Blogeintrags v. 21. Juli.


In Montana haben Lamas also die Pferde ersetzt. Das ginge ja noch, aber an einer Tankstelle ist mir dieser, nun ja, ... Cowboy aufgefallen. Schuhe und Hut sind Cowboy, der Rest ist besser Schweigen.


Was im Foto nicht zu erkennen ist: das Auto steht neben der Zapfsäule an einer Tankstelle und unser Cowboy striegelt es minutenlang liebevoll und nach allen Regeln der Kunst. Weil es natürlich auffallen würde, wenn einer sein Auto striegelt, benutzt er keinen Striegel sondern einen Abzieher und tut so, als würde er Wasser entfernen, das er wieder und wieder auf die Scheibe gießt und dann wieder und wieder abwischt. Ich konnte mich ungesehen näher schleichen und folgende Konversation bzw. Monolog aufschnappen:

"Goody goody horsy is a, a gaaaaanz a good horsy, yayayayaaaaaa. Is horsy thirsty? yaaaaahyaya, 's horsy is veeeeeery thirsty. yayayahhhhh, a ganz a brava is a's horsy, yaaaaah. Soon gibt's drinky drinky, yaaaaaa. high octan, I promise!..."

In diesem Stil ging das eine ganze Weile dahin. So tief sind Cowboys also gesunken, dass Sie nicht nur Pferde durch Lamas ersetzen und kurze Hosen und T-Shirts zu Cowboystiefeln und -hut tragen. Nein, in dieser Aufmachung striegeln sie auch noch in aller Öffentlichkeit ihre Autos und reden ihnen dabei gut zu! Wenn das John Wayne wüßte! Damals waren Cowboys halt noch Coyboys und Männer noch Männer.

Weil es so schön hierher passt, folgt ein gekürzter Auszug aus dem Songtext "Echte Helden" der Ersten Allgemeinen Verunsicherung:

Echte Helden reiten durch die Nacht.
Echte Helden reiten durch die Nacht.
Echte Helden geben Obacht.

Echte Helden kennen keine Gnade,
Echte Helden, oh no! sie kennen keine Gnade.
Echte Helden gehen nie zum Bade.

Die letzten Helden dieser Erde
satteln ihre Pferde,
und sie reiten vierzig Tage lang
in den Untergang.

Apropos Männer. Wenn man, so wie ich heute, knapp 100 Kilometer neben einem Highway dahin reitet... äh... radelt, geht einem so manches durch den Kopf. In meinem Fall spielte ans naheliegenden Gründen Lärm eine tragende Rolle. Lärm ist das Lebenselexier des Mannes, Lärm unterscheidet den Mann vom Weichei und macht den Mann zum wirklichen Mann. Stellt euch eine Welt vor, in der Rasenmäher, Motorsägen und Bohrhämmer völlig geräuschlos mähen, sägen oder bohren. Flüsterleise Harleys, stumme Mopeds, zivilisierte Biergärten. Das wäre der Untergang der abendländischen und vermutlich sogar der morgenländischen Kultur. Ich lärme, also bin ich! Männer baden sich aus demselben Grund im Lärm wie weiland Siegfried im Drachenblut: um sich unverwundbar zu machen! Lärm macht groß und stark und mächtig und betört die Frauenwelt beinahe so sehr wie ein Rudel übergewichtiger und stark schwitzender Bauarbeiter mit Latzhose samt körperbetontem, dunkelweißem Feinripp-Unterhemd.

Apropos Bauarbeiter: Die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten ist eine Gerade. Dieser Radweg belegt zweifelsfrei, dass die Erbauer entweder betrunken waren oder in Mathematik nicht aufgepasst haben.


Zurück zur Lärmdiskussion: In Asterix als Legionär taucht der Gote Verkrümeldich auf, der mit seinem wuchtigen Fellmantel eine furchterregende Gestalt abgibt, bis er den Mantel ablegt und ein spindeldünnes Männchen dahinter zum Vorschein kommt - aus war der Traum vom Legionär. Genauso ist es mit Männern und Lärm. Nimm einem Mann seinen Lärm weg und er fällt in sich zusammen wie ein Kartenhaus im Sturm und wird noch schlimmer jammern und wehklagen, als er das sonst bei einer leichten Erkältung zu tun pflegt. Wobei - nur Frauen holen sich eine Erkältung, Männer erleiden eine Virusinfektion.

Kurzer Exkurs: Ich hätte heute beinahe zwei junge Frauen überrollt, die - nach Gehör - die Straße überquert haben. Ich war nur ein paar Meter entfernt und mit dem mächtig bepackten Rad und meiner Ballerina-Figur ein optisch durchaus rezipientes Objekt für Lebewesen mit Augen im Kopf. Mit anderen Worten: ich war unübersehbar! Nur akustisch war ich nicht vorhanden für die Mädels, die mit Tunnelblick und laut schnatternd über die Straße gelaufen sind wie Entenküken auf dem Weg nach Panama. Von wegen "Erst links, dann rechts, dann gradeaus, so kommst Du immer gut nach Haus." Das war schon mehr in Richtung "Das Auge zu, die Klappe auf, so nimmt das Unheil seinen Lauf."

Blick in die Zukunft: Ich prophezeie! Elektroautos werden die tödlichen Verkehrsunfälle drastisch ansteigen lassen und dazu führen, dass Gesetze erlassen werden, nach denen auf dem Dach des Autos ein Lautsprecher angebracht werden muß, der Motorgeräusche in hoher Lautstärke simuliert. Elektro-Rasenmäher, -sägen und -bohrhämmer werden die Suizidraten bei Männern in ungeahnte Höhen treiben und dazu führen, dass meine folgende Idee die Erfindung der Handies (deutsch: "Handy's" samt falschem Apostroph) in den Schatten stellen wird. Ich spreche von einer Art Wikinger-Helm (die Wikinger waren ja auch furchterregende Gestalten, die jede Menge Lärm veranstaltet haben), einem Helm also, der in Wirklichkeit ein technisch ausgefuchster Lärmgenerator ist. Der Helm enthält ein 5-Kanal Dolby Surround System samt Kopfhörer vom Allerfeinsten. Der Mäher, Säger oder Bohrer kann dann aus einer unüberschaubaren Liste von Soundeffekten jeweils genau denjenigen auswählen, nach dem er sich gerade fühlt. Viele Frauen fühlen sich ja auch das eine Mal nach dieser Hose, ein andres Mal nach jenem Kleid. Was übrigens auch der Grund dafür ist, dass sie im Gegensatz zu mir nicht schon Wochen vorher für den Urlaub packen können, da sie ja heute nicht wissen können, wonach sie sich in zwei Wochen fühlen werden. Ich bin in diesem Punkt für Gleichberechtigung. Warum soll sich der Mann nicht auch heute nach dem Husqvarna Yard Pro 53-625 D* fühlen dürfen während ihm morgen vielleicht der Sinn nach dem TE 80-ATC AVR Combi hammer** aus dem Hause Hilti steht. Wer sich den Husqvarna Yard Pro 53-625 D oder den TE 80-ATC AVR Combi hammer nicht leisten kann oder will, der lädt einfach den entsprechenden Sound in den Wikinger-Helm und zieht in die Schlacht.

*(Leistung: 4.410 Watt / Leistung: 6,0 PS / Motorfabrikat: Briggs & Stratton / Hubraum: 190 cm³ / Tankinhalt: 1,5 Liter / Radantrieb / Startsystem: Elektrostart / Schnittbreite: 53 cm / min. Schnitthöhe: 32 mm / max. Schnitthöhe: 95 mm / zentrale Schnitthöheneinstellung / Schnitthöhenverstellung: 7-stufig / Fangkorbvolumen: 75 Liter / Gehäusematerial: Stahl / höhenverstellbarer Griff / Sicherheitseinrichtungen: Bügelschalter, Motorstopp)

**(TE-Y chuck SDS Max, 1700 W, 10.2 kg, Active Vibration Reduction, Active Torque Control)

Liebe Frauen, eure Männer werden feuchte Augen bekommen, wenn unterm Weihnachtsbaum das neue Soundpaket für den verhassten flüsterleisen Laubsauger liegt! Und noch ein Tipp: wenn es euch gelingt, in die unvermeidliche elektronisch erzwungene stille Welt der Zukunft die guten alten Staubsauger, Waschmaschinen, Spülmasschinen oder Kochgeräte hinüberzuretten, besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass der verzweifelte Mann in seiner Sehnsucht nach Lärm plötzlich zum Hausmann wider Willen wird.


Till Senn

25. Juli (Tag 30)

Vom Bitterroot Campground zum "Chief Joseph Pass" und wieder zurück

Tages-Km: 130
Gesamt-Km: 1.812
Höhenmeter: 1.032
Zeit im Sattel: 06:51
Wetter: S.O.N.N.I.G.
Temperatur: 22 - 37° C


"Die Schwarzen Reiter"
Diesen Blogeintrag widme ich meinem Freund und Insektenfachmann Radlpeter. Ähnlich wie Radlhans ist auch Radlpeter ein Mensch von tiefer Weisheit, einfühlsamer Zuhörer in schweren Stunden und wertvoller Ratgeber in der Not. Als solcher hat er mir nach meinen Klagen über Mücken in seinem Kommentar zum Blogeintrag vom 20 Juli empfohlen, ich solle den Tierchen nur wohlgesonnen sein und schon sei alles in Butter. Lieber Peter von Assisi, es ist schade, dass Du den heutigen ausgedehnten Radausflug auf den "Chief Joseph Pass" nicht mit genießen durftest. Zu gerne hätte ich als eifriger Schüler den Meister beim Wohlgesonnensein studiert. Ich wäre mit laufender Videokamera hinter Dir her geradelt, um der ganzen Welt Deine hohe Kunst der Güte gegenüber Myriaden von Drecksmücken, Drecksfliegen, Drecksbremsen und Drecksirgendwas aus erster Hand überliefern zu können.

Was hat sich die Evolution eigentlich dabei gedacht, derart übles Viehzeug in derart großen Mengen überleben zu lassen, während die Dinos abtreten mußten? Ich wette 1:1.000.000, dass mich heute nicht ein einziger Dinosaurier den Pass hinauf verfolgt hätte. NICHT EIN EINZIGER!!! Stattdessen aber 4,8 Millionen Mücken und Fliegen und Bremsen und irgendwas, das ich nicht kenne, das aber ungeachtet meiner insektologischen Bildungslücke dreckslästig ist und sticht oder beißt oder Stech- bzw. Beißwaffen erfunden hat und diese an Menschen testet. Insekten haben ja von Haus aus dieses unheimliche Gespür für die richtige Körperstelle zum richtigen Zeitpunkt. Nur dumme Mücken stechen einen während einer Pause in den Unterarm. Erfahrene Exemplare entscheiden sich für die Kniekehle oder die Stelle genau zwischen den Schulterblättern.

Wenn man sich mit dem Fahrrad einen Pass hinauf schindet, wenn der Radler also den Lenker mit beiden Händen fest umklammert, keinesfalls aus dem Rhythmus kommen will und keucht wie Emma, die Dampflokomotive: dann - genau dann tanzen und wimmeln und schwirren einem diese Elendskreaturen ungeniert vor dem Gesicht herum, ihre blödes Facettenaugengesicht zu einem hämischen Grinsen verzogen. "Schlag doch zu" scheinen Sie einem zuzurufen. "Schlag doch, hihi." Die Machos unter den Insekten lassen sich zur Krönung des Ganzen nur allzu gerne auf der Nase des Radlers nieder, wohl wissend, dass sie schneller sind als die zittrige Hand des schwer Atmenden und dabei nicht zu Unrecht auf den Lacheffekt bei den Insektinnen setzend, sobald sich der Radler zum wiederholten Mal mit voller Wucht die flachen Hand auf die eigene Nase drischt. Eine offenbar aus Hessen stammende Mücke hat das heute sogar vier Mal geschafft und mir dann jedes Mal, wieder in sicherer Entfernung vor meinem Gesicht schwirrend, zugerufen: „Ey Alder, mach disch logger“.

Ich habe mich heute auf dem langen und heißen Weg (100 Grad Fahrenheit, was 37 Grad Celsius entspricht) hinauf zum „Chief Jospeh Pass“ wahrscheinlich schlimmer mißhandelt als die eifrigsten Flagellanten zur Blütezeit der Selbstgeißelung. Der Erfolg meiner Bemühungen lässt sich zwar sehen - Insektenleichen pflastern meinen Weg - aber die Überzahl war letztlich zu groß und mein Gesicht sieht jetzt aus wie nach einer Wirtshausschlägerei. Wohlgesonnen... my ass. Peter von Assisi, das kostet Dich Anfang November ein ordentliches Essen in der Waldschenke.

Und jetzt zu den Schlagzeilen des Tages:
"Aus dem Bundeskanzleramt ... Moment, ich bekomme gerade eine Eilmeldung aus den USA und schalte um zu unserem Amerika-Korrespondenten Maik Äver, der sich mit breaking news live aus dem Bitterroot Valley in Montana meldet. Hallo Maik! Was ist los bei euch da drüben?"

"Hallo zurück nach Deutschland. Tja, hier im Bitterroot Valley ist die Hölle los. Oder sollte ich besser sagen - der Himmel? Schwer zu sagen im Augenblick. Alles fing heute morgen damit an, dass beim Sherriff im Bitterroot Valley Meldungen verstörter Augenzeugen über zwei schwarz gekleideten Gestalten eintrafen, die auf seltsamen Pferden den Chief Joseph Pass hinauf reiten. Dabei sollen sich die zwei Reiter ständig selbst geschlagen und dabei laut in fremden Zungen gesprochen haben. Auf dem Gipfel angelangt, so wird von weiteren Augenzeugen berichtet, hätten die unheimlichen Gestalten Blut aus goldenen Kelchen getrunken. Der Fairnes halber soll nicht unerwähnt bleiben, dass andere Zeugen von zwei 16 OZ Dosen Coors Light sprechen. In einem Punkt sind sich aber wieder alle einig; während dieses seltsamen Rituals auf dem Chief Joseph Pass, einer nach dem großen Indianerhäuptling "Chief Joseph" benannten uralten und heiligen Stätte und gleichzeitig auch die Continental Divide, hätten sich die ganz in Schwarz Gekleideten einander auf die Schulter geklopft und sich wiederum in fremden Zungen unverständliche Worte zugerufen.

Während die Augenzeugen in psychologischer Behandlung sind bzw. von Sicherzeitskräften und dem CIA vernommen werden, scheint sich das Ganze zu einer religiösen Erweckungsbewegung zu entwickeln. Überall im Bitterroot Valley kann man bereits Kinder, Frauen und Männer dabei zu beobachten, wie sie mit rostigen Fahrrädern kreuz und quer durchs Dorf radeln, sich dabei ständig ins Gesicht und an den Körper schlagen und unverständliches Zeug rufen, von dem deutschstämmige Einwanderer schwören, es erinnere sie an bayerische Flüche. Der Sektenbeauftragte aus Montana wurde eingeschaltet. Die Fahnung nach den zwei Geheimnisvollen läuft auf vollen Touren. Der Missoulian titelt bereits "Die schwarzen Reiter kommen - Apokalypse now?". Aus zuverlässigen Kreisen wird berichtet, dass sich die Kreationisten auf die Wiederkehr des Messias vorbereiten und auch schon die ersten großflächigen Plakate angebracht haben.

Soviel fürs Erste aus dem Bitteroot Valley, Montana, USA. Zurück ins Studio nach Deutschland."

"Danke an Maik Äver nach Montana. Halten Sie uns auf dem Laufenden! Und jetzt weiter mit den Meldungen aus Berlin. Wie aus dem Kanzerlamt...."

Breiten wir den gnädigen Mantel des Schweigens über die Verlautbarungen des Kanzleramtes und rücken stattdessen lieber die Bilder des Tages in den Mittelpunkt:

Kurz vor der Passhöhe schnuppern wir Idahoer Luft. Allerdings fällt es manchem Schwarzen Reiter offenbar schwer, beim Fototermin ernst zu bleiben...


Gipfelbier an der Passhöhe. Ja, wir schleppten das Kaltgetränk unseres Vertrauens jeden Höhenmeter nach oben. Vielleicht waren die Mücken ja gar nicht auf unser Blut aus?


Dieses Schild kurz vor unserem Campingplatz war heute morgen noch nicht da. Was das zu bedeuten hat, kann ich leider nicht sagen, aber in den Nachrichten ist heute schon den ganzen Tag über von irgendwelchen "Schwarzen Reitern" die Rede.


Bis bald

...Till Senn

24. Juli (Tag 29)

Missoula - Bitterroot Valley Campground

Tages-Km: 100 (Punktlandung)
Gesamt-Km: 1.682
Höhenmeter: 353
Zeit im Sattel: 05:08
Wetter: sonnig
Temperatur: 17 - 30° C


Beschäftigungstherapie
Ich habe mich immer gefragt, warum Jogger an einer roten Fußgängerampel im Stehen weiterjoggen. Heute haben wir unsere Variante eines dreitägigen Joggens-im-Stehen begonnen und ich weiß nun, wofür das gut sein kann. Jedenfalls, wenn man radelt und nicht joggt; Joggen im Stand ist und bleibt blöd. Weil wir kein Mietauto zwischen Missoula und Denver bekommen, es aber mit dem Rad nicht in der Zeit bis nach Denver schaffen, müssen wir in Missoula bleiben. Müssen wir? Müssen wir nicht. Drei Tage hätten wir noch Zeit gehabt und genau diese drei Tage nutzen wir nun. Heute sind wir von Missoula bis fast zum Fuße des "Chief Joseph Pass" geradelt. Morgen radeln wir den nach einem Indianerhäuptling benannten Pass erst hoch, dann wieder runter und zurück bis zu diesem Campingplatz. Und übermorgen radeln wir wieder die 100 Kilometer zurück nach Missoula, wo wir am Dienstag das Mietauto abholen und uns - mit Zwischenstation "Yellowstone Park" auf den Weg Richtung Denver machen werden. Damit haben wir die drei Tage im Sinne der TransAmerica-Tour genutzt UND ich mache gleichzeitig möglichst viele Kilometer, um die Lücke in der Gesamtstrecke auf ein Minimum zu begrenzen.

Das Theater um die Logistik will ich hier nicht noch einmal im Detail erläutern. Es folgen die 4 Problemlösungssmeilensteine in 4 Bildern:

1. "Puh, wie sollen wir das bloß hinbekommen?"

2. "Bist Du schon einen Schritt weiter?"

3. "Moo-ment, so könnte das klappen..."

4. "Genau! So machen wir es!"

Gesagt, getan und bei Kaiserwetter geht es flott Richtung Süden.So selten wie Schnee im August: ein Radweg, sogar 35 Kilometer lang und gut genug für mindestens drei Bilder:




Nach exakt 100 Kilometern erreichen wir einen Campingplatz, der erstens Internetzugang und zweitens Steckdosen neben dem Zelt bietet und damit die Grundlage dafür schafft, dass dieser Blogeintrag tagesaktuell hochgeladen werden kann. Es ist jetzt 21:35 Uhr Ortszeit. Rekord!

23. Juli (Tag 28)

Blackfoot River - Missoula

Tages-Km: 31
Gesamt-Km: 1.583
Höhenmeter: 87
Zeit im Sattel: 01:45
Wetter: sonnig
Temperatur: 15 - 20° C


Ich sollte öfter an Flußufern schlafen. Dusche hin oder her. Sieht doch wirklich einladend aus, oder etwa nicht?



Zum Abschied kommen noch Bambi mit Mutter vorbei. Sie sind so neugierig, dass sie mitten auf der Straße stehen bleiben und gucken. Genau wie wir. Das Guck-Duell dauert etwa eine Minute und Be kann dieses Foto schießen.


Nach 30 Kilometern schon erreichen wir das Tagesziel Missoula. Ein Meilenstein nicht nur für diese Tour sondern auch in meiner persönlichen Radbiografie. Hier befindet sich das Headquarter der "Adventure Cycling Association", der ich 2001 als zahlendes Mitglied beigetreten bin mit dem Ziel, irgendwann einmal die USA zu durchqueren.


Was ich 2007 dann auch in die Tat umgesetzt habe, als einer von 12 Teilnehmern einer von der ACA organisierten Tour. Was als Erfüllung eines Traums gedacht war, erwies sich als Pandoras Büchse. Seither zieht es mich jedes Jahr mit Macht hierher, um wieder irgendeine laaaange Tour zu fahren.

Wie es der Zufall will, begegnen wir Greg Siple, einem der Gründer der ACA, der Fahrrad-Organisation, die 1976 die erste USA Durchquerung, den "TransAm" entwickelt hat und seither unermüdlich an der Erschließung der USA für Radfahrer arbeitet. Wir unterhalten uns lange und Greg gibt uns eine ausführliche Tour durch das Headquarter. Es läuft sogar jemand mit einer Videokamera mit und abschließend fotografiert uns Greg - er ist Art Director, Chef-Fotograf und Archivar der ACA - noch in seinem "Studio": einer freigehaltenen Parklücke mit einem schmutzigweißen Tuch als Hintergrund. Seit 9 Jahren erhalte ich die Zeitschrift der ACA "Adventure Cyclist" und seit 9 Jahren bewundere ich das Schlußfoto, das immer einen der Transamerica-Radler vor genau diesem Tuch zeigt. Mit etwas Glück sind Be und ich vielleicht in einer der nächsten Ausgaben dabei :-)


Kurz nach dem Bild bewahrheiten sich meine Befürchtungen hinsichtlich logistischer Probleme. Es war von Anfang an klar, dass wir es nie bis Denver schaffen, von wo aus Be am 31. Juli wieder zurück nach Deutschland fliegen wird. Unser Ziel war "West Yellowstone". Von dort sollte es mit dem Mietauto nach Denver gehen und dann wieder zurück, um die Tour fortzusetzen. Problem: ES GIBT KEINE MIETAUTOSTATIONEN unterwegs. Nur von hier, von Missoula aus können wir ein Auto "one way" nach Denver mieten. Öffentlicher Nahverkehr? Herrschaften, wir sprechen hier von den USA. Züge für Menschen gibt es hier nur in Metropolen und im Modellbau. Was bliebe, wäre Greyhound - mit all den bekannten Einschränkungen bezüglich Rad- und Gepäcktransport. Fazit: das wird so nichts. Wir arbeiten noch an einer Kompromiss-Lösung, aber es wird eine Notlösung werden, die mir schwer im Magen liegt, weil sie erneut eine Lücke in die Tour reißen wird. Warum kann die Welt nicht einfach genau so sein, wie ich sie will? Dann wäre sie perfekt. Und dagegen kann doch kein vernünftiger Mensch etwas einwenden.

Bis bald



22. Juli (Tag 27)

Condon - Blackfoot River

Tages-Km: 103
Gesamt-Km: 1.552
Höhenmeter: 565
Zeit im Sattel: 05:42
Wetter: bewölkt
Temperatur: 15 - 25° C


Wir frühstücken gut und günstig im Restaurant gegenüber und freuen uns, dass wir - bis auf den Gemeindeverwalter - nun alle zwei Bewohner von Condon kennen.

Weiter geht's auf dem Highway 83, dem ohne Seitenstreifen. Bäh. Unterwegs treffen wir wieder einmal einen der vielen Gepäck-Radler und ich nehme mir vor, in Zukunft von jedem ein Bild zu schießen und seine wichtigsten Daten zu notieren. Das hier ist Jo (ohne "e") aus Thailand.


Hm.. ich sehe schon, "die wichtigsten Daten" dürfen noch etwas detaillierter ausfallen... Ich gelobe Besserung.

Weil wir auch heute wieder in erster Linie Kilometer abspulen und dabei versuchen, nicht unter die Räder der Autos, PickUps, kleinen, mittleren, großen, riesengroßen, irrsinnig großen und megawahnsinniggroßen Wohnmobile bzw. der rasenden Holzlaster zu geraten, gibt es keine weiteren Unterwegs-Fotos.

Wir campen einsam am wildwestromantischen Flußufer des "Blackfoot River" und kochen mit gefiltertem Flußwasser erneut groß auf. Ähnlichkeiten mit dem gestrigen Abendmahl sind unvermeidlich, aber deshalb nicht weniger lecker.



Ich freue mich auf eine ruhige Nacht an einem freundlich und sanft vor sich hin murmelnden Fluß. In solchen Momenten frage ich mich, warum ich immer noch hin und wieder in Motels übernachte. Dann fällt mir ein, dass das bereits der zweite Tag ohne Dusche ist und schon habe ich wenigstens EIN gutes Argument.

21. Juli (Tag 26)

Columbia Falls - Condon

Tages-Km: 121
Gesamt-Km: 1.450
Höhenmeter: 571
Zeit im Sattel: 06:21
Wetter: Sonnig
Temperatur: 14 - 28° C



Im Wesentlichen nichts Neues
Die nächsten zwei, drei Blogeinträge werden vermutlich ein wenig dünner ausfallen als mir lieb ist. Das liegt zum einen daran, dass Montana zwar schön ist, aber für das deutsche Auge nicht unbedingt sehr exotisch. Entsprechend wenig Fotos erreichen deshalb Blogreife. Zum anderen bin ich jetzt in der Übergangsphase zwischen dritter und vierter Woche Radeln, in der bei mir immer ein innerer und äußerer Tunnelblick durchschlägt. Und zum dritten zeichnen sich größere logistische Probleme ab, die vermutlich wieder eine Lücke in die Tour reissen werden. Als Meister der Ruhe und Gelassenheit fällt es mir ja nicht schwer, wenn etwas nicht nach meinem Kopf läuft. Nun ja, das alles gibt sich wieder, aber im Moment... fehlt mir ein wenig der Esprit. So - jetzt aber genug davon; das war heute los.

Die Cowboys sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren. Gleich auf der ersten Koppel stehen diese seltsamen Pferde herum, deren Rückenfell unter den Sätteln der Cowboys offenbar schon ziemlich gelitten hat.


Ich versuche mir vorzustellen, wie böse Cowboys mit solchen Pferden eine Postkutsche überfallen. Lächerlich. Früher war alles besser.

Ohne Frühstück und nach 40 Kilometern in sengender Hitze erreichen wir hungrig und durstig ein Restaurant mit Sitzgelegenheiten im Freien. Ein Angebot, das wir nicht ablehnen können und das uns den restlichen Tag schwer im Magen liegen wird.


Obwohl wir nur ein wenig Light zum Burger getrunken haben...Nie wieder Mittagspause im Restaurant! Nie wieder, heute jedenfalls nie wieder.

Kurz nach dem Restaurant endet der Seitenstreifen und damit die wirkliche Freude am Radeln. Frei nach dem Miesepeter in "Diva" sage ich laut und vernehmlich: "Ich kann Highways ohne Seitenstreifen nicht ausstehen!" Bäh. Wir spulen Kilometer über Kilometer ab und fahren und fahren und fahren, wobei zwei-einhalb Augen ständig im Rückspiegel blicken und die Vorwärtsorientierung mehr Echolot als Sehen ist.

Ein Landschaftsbild darf sein.


Der Schein trügt nicht. Es handelt sich um schneebedeckte (3.000er) Gipfel. Wir radeln derzeit auf rund 1.300 Metern Höhe.

In Condon dürfen wir für 10 Dollar auf der Wiese neben dem örtlichen Kramerladen zelten. Den Luxus einer Dusche oder gar einer Toilette hat man sich gespart. Zum teilweisen Ausgleich befindet sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein Restaurant. Laden und Restaurant machen 50% von Condon aus. Bleibt noch das Haus gleich neben der Wiese. Hier wohnt die Besitzerin des Restaurants, die morgens mit ihrem Auto 17,8 Meter von ihrem auf den Parkplatz vor dem Restaurant fährt und abends wieder zurück. Die noch fehlenden 75% der Metropole macht die Gemeindeverwaltung aus, die jedoch geschlossen ist. Vermutlich ist der Gemeindeverwalter entweder gerade im Kaufladen oder im Restaurant. Oder im Urlaub im Nachbarort, in dem es fünf Häuser geben soll. Auf der Rückseite der Gemeindeverwaltung befindet sich ein der Öffentlichkeit zugänglicher Wasserhahn (das hat uns die Kaufladenfrau dann doch noch verraten). Na also. Wir fassen Wasser und kochen ordentlich auf.

Vorspeise: Tomatenscheiben an Salz und Pfeffer
Hauptgang: Nudeln an würziger Tomaten-Kräutersauce
Dessert: Schokolade an Schokolade (und dann an Hand)


Als Nachschlag folgt ein deftiges Gewitter. Aber satt und zufrieden und müde höre ich im wasserdichten Zelt dem Prasseln gerne und gelassen zu.

20. Juli (Tag 25)

Upper Stillwater Lake - Columbia Falls

Tages-Km: 60
Gesamt-Km: 1.328
Höhenmeter: 342
Zeit im Sattel: 03:18
Wetter: Sonnig
Temperatur: 15 - 25° C


"You don't stink!"
Alles ist nass! Igitt. Irgendwann in der Nacht hat sich der Himmel zwar vorübergehend ausgeweint, aber ich habe dennoch das Gefühl, in einer gefüllten und erkalteten Badewanne zu liegen. Alles nur Einbildung - Zeltboden und -wände sind trocken, aber rund um mich und meine Schlafinsel liegen einzelne Häufchen und Haufen nasser und feuchter Klamotten. Igitt!

Ich werfe einen Blick aus dem Zelt und schließe es sogleich wieder, nicht ohne dass sich zuvor noch schnell ein halber Liter montanisches Regenwasser den Weg zwischen Kragen und Nacken hindurch bahnt, den Rücken hinabläuft und mir damit die Morgendusche abnimmt. Verstecken hilft nichts, das Leben geht weiter. Mit der Anmut einer Ballerina schlüpfe ich - mich auf der trockenen Isomatte im äußerst labilen Gleichgewicht haltend in die letzten trockenen Sachen, die mir noch geblieben sind, streife dann noch mit der Grazie eines Nilpferdes die Regenüberschuhe über und gleite schließlich elfengleich in 0,0003 Sekunden vom Zelt ins Freie. 0,0004 Sekunden später ist der Reißverschluß von außen bereits wieder zugezogen, was aber mindestens 637.802 Mücken dennoch ausgereicht hat, ins Zeltinnere vorzudringen. Die verbliebenen 1,1 Millionen fallen über mich her, bevor ich mich noch ganz aufgerichtet habe. Zelten ist schön.

Langsam kommt auch die Sonne in die Gänge und wir hängen unsere Klamotten an Rad und Bäumen und Zäunen auf.



Um gleichzeitig die Zeltwände als auch den Boden zu trocknen, nutze ich die Luftpumpe als Zeltheber.


Den Heerscharen von Mücken trotzend wirft Be die Feldküche an und kurz darauf nuckle ich an meiner Halben Kaffee (mit zwei ee!)


Nach 40 Kilometern betreten wir zwecks zweitem Frühstück in Whitefish das "Buffalo Café". Eine sehr junge Bedienung begrüßt uns enthusiastisch mit den Worten: "You don't stink!" Ich bin gleichermaßen gerührt, überrascht und perplex. Gerührt, weil ich Komplimente mag, überrascht, weil ich mir nicht vorstellen kann, dass ich nach zwei-einhalb verpassten Duschen NICHT stinke und perplex über die unverblümte Offenheit. Ich war in meinem Leben schon in vielen, in GANZ vielen Restaurants, aber so hat mich noch nie eine Bedienung begrüßt. Auf Nachfragen erklärt uns die reizende junge Frau, dass viele Radfahrer hier einlaufen und oft ziemlich ... nun ja. Wir aber nicht! Überhaupt nicht!

Weil ich mittlerweile schon wieder drei Blogeinträge plus ein paar berufliche Schreibereien im Verzug bin, will ich heute erstens eine kurze Tour und zweitens ein Motel. Schon nach 60 Kilometern steuern wir in Columbia Falls ein entsprechendes Etablissement an. Als ich das Badezimmer betrete, sehe ich dieses Schild:


Erst die Bedienung, dann das Schild. Was will mir das Universum damit sagen?

So long...

Die Cowboys