11. September (Tag 78)

Katy Trail: Jefferson City, MO – Bluffton, MO

Tages-Km: 61
Gesamt-Km: 3.972
Höhenmeter: 277
Zeit im Sattel: 4:10
Wetter: Waschküche, bewölkt, sonnig
Temperatur: 19 – 27° C


Bevor ich von der ersten Etappe nach Hermine berichte, will ich noch kurz vom „Cliff Manor Bed & Breakfast (www.cliffmanor.com) “ schwärmen. Wer jemals auch nur in die Nähe von Jefferson City kommt, MUSS hier mindestens eine, besser zwei Nächte bleiben. Das Cliff Manor B&B ist zwar weniger für ein Studentenbudget geeignet, aber Studenten sollen ja auch studieren und nicht durch die Welt fahren, oder? Wär ja noch schöner! Studenten, die uns die schönen B&Bs belegen und dann ums Frühstück handeln, weil sie nur eine halbe Scheibe Toast gegessen haben. Egal – Das Cliff Manor B&B ist ein MUSS! Und zwar aus mehreren Gründen: a) dem Haus, b) Tom, dem Erzähler, c) Tom, dem begnadeten Koch, d) den hübschen Zimmern und traumhaften Suiten mit Blick auf den Missouri River.

Tom ist die Seele des B&B, ein begnadeter Koch und hat die Verbindung von Hingabe und Professionalität zur Perfektion gebracht. Kochen hat er in den Südstaaten gelernt, wo Zutaten nicht wiegt oder abmisst sondern „a cup of this“ oder „a spoon of that“ oder „just a little bit“ von jenem nimmt. Sein Kochbuch mit eigenen Rezepten hat er mir zum Abschied noch in die Hand gedrückt. Passt ja leicht noch in den Smart an meinem Fahrrad. Eine seiner Spezialitäten ist für deutsche Augen und Mägen ziemlich exotisch: Blaubeer-Pankakes mit süsser Joghurtscauce und Sahnehäubchen an Deutscher Bratwurst. Für Amerikaner ist das so selbstverständlich wie für uns Butter und Brot. Und NEIN, das war es nicht, was meine Magenprobleme verursacht hat...


Jetzt aber zurück zum Katy Trail

Mit halber Kraft durchs Märchenland
Kurz nach dem Auftauchen muss Atlantis so aussehen wie der Katy Trail heute morgen. Nach gewaltigen Unwettern und Regengüssen trieft die Natur wie ein nasser Pudel (Wie trieft eigentlich ein nasser Pudel? Ich meine, wie "anders" als - sagen wir - ein nasser Dackel trieft ein nasser Pudel?)

Im Jahre 1982 hat Jürgen „Kaptitänleutnant“ Prochnow „DAS BOOT“ auf Schleichfahrt beordert, um die Meerenge von Gibraltar zu passieren. Aufgrund des leeren Magens und des schwammigen Bodens setzte „Kaleu“ Hermann heute „DAS RAD“ auf Schleichfahrt. Der Katy Trail ist weich, die Räder sinken tief ein und das Treten fällt schwer. Gut, dass ich mittlerweile so leicht bin. So wie es sich anfühlt, habe ich in den letzten beiden Tagen im Bett ungefähr genau so viel abgenommen wie auf den ersten knapp 4.000 Kilometern dieser Tour. Ich bin überzeugt, dass ich heute wieder in die neongrüne Jeans passen würde, die ich zuletzt als 16-Jähriger zum Alzfest am „17er-Platz“ getragen habe. Mann, war ich stolz auf diese grüne Jeans! Schmale Hüften, knallenge Oberschenkel, riesiger Schlag. Nur mein Freund Oli würde heute wohl noch neongrüne Jeans tragen, wobei er sich jetzt bestimmt wieder bei mir beschwert, dass sie LINDgrün sind und sehr gut zu den weinroten Schuhen passen! Trotz meines Fliegengewichtes versinken die Räder tiefer als gewünscht im Boden, aber ich genieße die Schleichfahrt durch Atlantis aus vollem Herzen. ENDLICH WIEDER AUF TOUR! Es folgt das Ergebnis der heutigen Bilderschlacht…








Mein Mittagessen bestand aus einer halben Banane, die ich im einzigen Lebensmittelladen der heutigen Etappe erstanden habe.


“Standing Rock” heißt dieser Felsbrocken (und ab jetzt auch der Radler davor) zwischen dem Katy Trail und den gleich daneben in den Himmel ragenden “Bluffs” (Klippen).


Auch wenn der Gedanke naheläge; der Brocken ist jedoch nicht von oben heruntergepurzelt sondern der traurige Rest einer ehemals stolzen und vieeeel größeren Klippe. Der Sandsteinanteil (99,9999%) ist erodiert und nur dieser kleine Teil aus Granit übrig geblieben. Erst auf die Nähe zu sehen: die eingeritzten Hochwassermarken.


Die Zahl hier soll “1944“ bedeuten und der Strich darüber befindet sich etwa 20 Zentimeter über meinem Kopf. Die gewaltige Flutkatastrophe von damals hat den Katy Trail an dieser Stelle völlig zerstört. Aber was sollte man machen außer reparieren? Vielleicht über die Klippen fahren? Außer Emma, Lukas und Jim Knopf würde das niemand schaffen.

Da mache ich mir Gedanken über die Bodenbeschaffenheit und in Wirklichkeit bremst mich ein blinder Passagier!


Der Katy Trail führt mittlerweile durch ein einst berühmtes Weinanbaugebiet, dessen Blütezeit jedoch nur sehr kurz währte. Aber auch heute existieren noch einige Winzereien, vor allem in und um „Hermann“, die „Deutsche Stadt in Missouri“, die ich morgen erreichen werde. Es gibt überhaupt unendlich viele deutsche Spuren hier, wo die hügelige und bewaldete Landschaft mit dem mächtigen Fluß so sehr an den Rhein erinnert. Vor 150 Jahren sind ganze Bootsladungen voller Deutscher ganz bewusst in diese, an die Heimat erinnernde Gegend ausgewandert. Eine Eigenart, die sich noch heute in Urlaubsgewohnheiten der Deutschen beobachten lässt: Es muss billiger, darf wärmer und soll sonniger sein, aber ansonsten hat alles zu sein wie zuhause. Jawoll!

In Bluffton schlage ich mein Zelt am „Steamboat Junction Campground“ auf. Das Besondere an diesem Campingplatz ist die Tatsache, dass die Rezeption zwar nur am Samstag zwei Stunden lang besetzt ist, der mit Süssigkeiten, Äpfeln, Tomaten und diversen Getränken gut gefüllte Kühlschrank dagegen die ganze Woche über unverschlossen bleibt. Wer hier zelten will, steckt das Geld in einen Umschlag und wirft diesen in den Briefkasten an der Rezeption ein. Das Geld für Essen und Getränke wirft der Hungrige bzw. Durstige in die Kasse.




Fazit: Mit leerem Magen kann man dennoch ganz gut radeln. Die Schleichfahrt hat mir gut getan und ihr musstet zur Strafe jetzt all diese Fotos angucken :-)

Ich bin gespannt auf morgen, auf „Hermann“.



Till Senn

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