13. September (Tag 80)

Katy Trail: Hermann, MO – St. Charles, MO

Tages-Km: 106
Gesamt-Km: 4.100
Höhenmeter: 157
Zeit im Sattel: 5:56
Wetter: Sonnig
Temperatur: 19 – 27° C


"Nächster Halt ENDSTATION, Katy Trail ENDSTATION"


Schon kurz nach dem Start, genauer gesagt nach 23 Minuten und 6 Sekunden hätte ich heute eine Flasche Champagner gebraucht:


Die 4.000-Kilometer-Marke war gerissen und damit die Gesamstrecke des „Mississippi River Trail“ aus dem Jahre 2009 übertroffen. Der nächste Meilenstein kommt bei Kilometer 5.400: So lange war 2007 der „Southern Tier“. Eine kurze Gedenkminute, ein Foto und weiter geht's. Viele ehemals blühende Dörfer und Städte entlang des Katy Trails sind heute „Ghost Towns“, in denen aber gelegentlich und dank der Radler kleine Kramerläden wie dieser überleben können.


Ich erstand ein Gatorade, ein Snickers und ein KitKat. Um das obige Foto zu schießen, legte ich Snickers und KitKat auf die Bank neben dem Eingang. Bis ich wieder zurück war, durfte ich das Snickers aus der Hülle schlürfen und das KitKat mit dem Strohhalm trinken. Es war heiß heute. Was mir an diesem Laden aber besonders ins Auge stach, ist das Waffenverbotsschild an der Eingangstüre. Das Verbot ist üblich, aber das SCHILD hat Extraklasse:


Wahrscheinlich hat’s der ballerspielgestählte 4-jährige Enkel gezeichnet, der nach 2.437 „Kills“ genau weiß, wie ein aufgemotztes M16 aussehen muss. John Rambo wird jedenfalls mächtig beeindruckt sein, wenn er auf seinem Feldzug gegen schuldige Zivilisten (siehe Blogeintrag vom 7. Juli) einmal hier vorbei kommt. Alle anderen werden mit ihren Pistolen und Revolvern ohne Zögern durchmarschieren. „Wäre da ein 45er abgebildet gewesen“ werden Sie später dem Sherriff sagen, „dann wären wir natürlich draussen geblieben. Aber jetzt mal ehrlich, Sherriff. Sieht DAS aus wie ein 45er?"

Zum ersten Mal bekam ich heute einen kleinen Vorgeschmack auf die Südstaaten mit ihren vielen Altwassern und Sumpfzypressensümpfen. Auch herbstelt es hier in Missouri schon gewaltig. Ein richtiger Altweibersommer.


Im gestrigen Blogeintrag waren ja schon die Spinnweben zu sehen, die frühmorgens zu Hunderten in den Bäumen, Büschen und teilweise sogar quer über dem Trail hängen. Ich verstehe ja, dass sich die Spinne denkt: „Ey, was soll ich tausend Fliegen fangen, wenn ich EINEN dicken Radler haben kann?“, aber bis zu Ende ist das nicht gedacht. Egal - durch eines dieser Netze bin ich jedenfalls vor lauter Zur-Seite-Gucken mit Karacho durchgerauscht. Mein abgrundtiefer Horror vor fetten Spinnen hat mich daraufhin zu einem halsbrecherischen Brems- und Absprungmanöver samt anschließendem Turbo-Striptease veranlasst. Gut, dass ausser mir niemand hier unterwegs war und der Sherriff gerade der Dorfjugend erklären musste, warum man Ladenbesitzer nicht einfach niedermäht, nur weil man ein Snickers will. Hätte er oder ein harmloser Zivilist mich bei meinem Tun beobachtet, würde ich jetzt wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses in einer Zelle schmoren.

Das Netz war entweder unbewohnt oder das Vieh hat in letzter Sekunde den roten Knopf für den Schleudersitz gedrückt – dicker Radler hin oder her; jedenfalls konnte ich weder AN noch IN den Klamotten, noch an MIR irgendetwas mit acht Beinen entdecken. Schauder. Vom Radl-Peter gibt es ja diese wunderschöne Geschichte mit der Angst vor einer mit dem Auto überfahrenen Schlange, die sich anschließend mit letzter Kraft am Vorderreifen festkrallt, sich bei 1.200 Umdrehungen ein wenig Mut anschleudert und einen dann umgehend in den großen Zeh beißt, sobald man die Türe öffnet, um zu sehen, ob sich da eine Schlange im Radkasten verfangen hat, die jetzt nur darauf wartet, dass man die Türe öffnet. Lieber Radl-Peter, ich habe Deine Schlangengeschichte heute zu einer bis ins feinste Detail ausgemalten Spinnengeschichte... ausgesponnen. Bis ich den allerletzten Faden dieses klebrigen Netzes aus dem Gesicht bzw. von Körper und Kleidung entfernt hatte, ist einiges Wasser den Missouri und fast genauso viel Angstschweiß den Hermann hinunter geflossen.

In Augusta entdeckte ich den ersten richtigen Biergarten auf meinen bisherigen USA-Radreisen. Inklusive eigener Brauerei, hübsch gelegen am Hang eines bewaldeten Hügels und mit Holzbiertischen samt rot-weiß-karierter Tischdecke ausgestattet. Fast wie Weihenstephan. Nur viel freundlicher und wesentlich günstiger. In Augusta brauen sie ein überzeugend gutes Weißbier, das sie - beinahe fehlerfrei - als „naturtrubes (sic!) Hefeweizen“ anpreisen. So bin ich also DOCH noch in den Genuss eines Biergartenbesuches gekommen, nachdem ich den Sommer in Deutschland ja komplett verpasst habe. Andererseits: Deutschland hat den Sommer ja auch verpasst, soweit ich das hier mitverfolgen kann, oder?


Dann kam der letzte Bahnhof. Endstation St. Charles, Missouri. 336 Kilometer lang durfte ich den Katy Trail genießen. Meistens jedenfalls. Als ich heute nach 104 Tageskilometern den Trailhead in St. Charles, MO erreicht hatte und auf die erste eklige Autostraße seit vielen Tagen abbiegen musste, war das zwar ein kleiner Schritt für die Menschheit, aber ein großer für mich. Seufz. Ich werde Katy vermissen.

Till Senn

P.S. Morgen, Dienstag, lege ich einen Arbeitstag in St. Charles ein, mich aber am Mittwoch wieder auf die Socken machen. Die nächsten Highlights warten schon: ein wenig „Mississippi River“ in Missouri und Illinois, der „Natchez Trace Parkway“ in Tennessee und dann natürlich in Alabama und Florida der „Golf von Mexiko“.

2 Kommentare:

  1. Hi Hermann,

    Tante Gerda hat sich sehr über Deine, von mir überbrachten Grüsse gefreut und läßt Dich herzlich grüssen.
    Auch alle anderen so habe ich rausgehört, klicken das eine oder andere Mal in Deinen Blog; Cousine Gudrun for Example,
    Zu Deinem Spinnennetzerlebnis ... alle Achtung ... aber das gibt es doch dann im nächsten Jahr Spyder-Bicicle-Hermann im Kino.

    mach nur eine kurze Pause, dann bleibet die Spannung für uns in der Ferne besser erhalten...

    Liebe Grüsse aus den heiligen Hallen des
    Wirtsepperl z' Garching

    Bis bald

    JoeB

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  2. Hi Hermann,
    Maria hatte wirklich recht bei Ihrem Kommentar zu deinem / unserem Chief-Joseph-Schwarze-Reiter-Gemetzel(Tag 30): Immer wenn kleine Tierchen ;-) mit 6 - 8 Beinen im Spiel sind, läufst Du zu deskripto-lyrischer Höchstform auf (jaja, Maria hat's eleganter umschrieben mit Eloquenz und so..)
    Dabei hat sich die Spinne wahrscheinlich gedacht: an diesem Leichtgewicht von Radler ist ja eh nicht mehr viel dran (nach der Torturennacht mit dem meilenweit entfernen Klo) - da fang ich mir lieber ein paar Mücken. (aber ich bin genauso gespannt wie Joe auf die Verfilmung des neuen Spider-Hörman...)

    ah ja - zu der genialen Assoziation der Schafkopfkarten aus der 12er-NAchtschicht muss ich Dir auch noch gratulieren...(s. auch Kommentar gestern; "am Tag (79) als ich zu mir kam")

    Ansonsten: 'anstoss' auf die 4000 !!
    und nach dem fleißigen arbeitstag
    (ganz im Sinne von Joes früherem Kommentar)
    keep on ... kettenglühn
    Radl-Be

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