28. September (Tag 95)

Linden, AL – Grove Hill, AL
Underground Railroad Trail – Tag 3

Tages-Km:  147
Gesamt-Km:  5.460
Höhenmeter:  1.267
Zeit im Sattel: 9:27
Wetter: heiter
Temperatur:  17 – 24° C



Auflösung Filmzitat:
"Definiere Ironie: Ein Haufen Idioten, die in einem Flugzeug zu einem Song tanzen, der durch eine Band berühmt wurde, die bei einem Flugzeugabsturz umkam."
... stammt aus dem Film „Con Air“

Am Limit
Liebe Leute, ich bin völlig fertig heute. Das reimt sich und was sich reimt, ist laut Pumuckl gut. Nun denn. Mein Dickschädel brockt mir derzeit einiges ein. Ich WILL unbedingt so schnell wie möglich raus aus Alabama und hin zum Golf von Mexiko. Ich will das Meer sehen, das mich anzieht wie ein überdimensionaler Magnet. Anfang Juli habe ich – mit dem Radl-Be – in Vancouver, Kanada dem Pazifik den Rücken gekehrt. Seither fiebere ich dem Golf von Mexiko entgegen. Jetzt habe ich ihn fast erreicht und nur die blöden alabamischen  Hügel und Holz-Laster machen mir dabei das Leben schwer.

Mit 9,5 Stunden reiner Radelzeit (unterwegs war ich heute über 11 Stunden) , 1.267 Höhenmetern und 147 Kilometern hat auf den letzten 30 Kilometern eindeutig der Wille den Körper beherrscht. Körperlich war ich der Katatonie nahe. Mit 5.460 Gesamt-Kilometern habe ich mit der heutigen Etappe auch meine ersten USA-Durchquerung aus dem Jahre 2007 übertroffen. Die damalige Reise vom Pazifik zum Atlantik war nach 5.328 Kilometer zu Ende. 

Ohne die bisherigen drei Monate auf dem Rad könnte ich auch nicht so fahren, wie ich es die letzten Tage tue.  Ich bin selbst erstaunt über das, was der Körper schafft und die minimale Regenerationszeit, die er benötigt, um die nächste Etappe in Angriff zu nehmen. Mit Blog und  Kochen und Essen und Wäsche waschen und Rad pflegen und überhaupt komme ich selten vor 23:00 Uhr ins Bett. Der Wecker läutet um 6:00 Uhr. Aber ich fühle mich nach wie vor von Tag zu Tag fitter. Möge es so bleiben!  Der Schlüssel ist derzeit das Essen. Ich koche fast jeden Tag abends 300 Gramm (!!!) Nudeln, die ich dann auch esse. Morgens zwinge ich mich dazu, ausgiebigst zu frühstücken. Wenns sein muß, wieder Nudeln.  Ich bringe es nicht über mich, diesen frittierten Mist zu verschlingen, mit dem sich die Amis ihre Arterien  zukleistern. Es ist erstaunlich, welche Gier der Körper nach dem entwickelt, das er braucht. Und das sind primär Kohlenhydrate, die Briketts der internen Verbrennung. Die letzten Kilometer heute habe ich schon Papierschnipsel in den Ofen werfen müssen, damit das Feuer nicht ausgeht. Jetzt, um 22:51 Uhr Ortszeit glimmt die Glut einer weiteren Riesenportion Nudeln vor sich hin.

Herrschaften, so war das heute die meiste Zeit:

 

Das Bild ist keine Fotomontage! So sah es etwa 110 der heutigen 147 Kilometer aus. Steil runter, steil rauf. SOOOO steil rauf und SOOOO steil runter. Auf und ab und auf und ab. Wahnsinn! Ich sage euch: WAHNSINN!  Schon nach 15 Kilometer möchtest Du das Rad einfach nur in den Graben werfen und dich am nächsten Baum aufhängen. Aber dann schaltet sich der Dickkopf ein und sagt: „Junge, spinn Dich aus!“ Dann mit Angies Stimme: „Du bist nicht zum Vergnügen hier!“ Also fahre ich weiter, immer weiter. Manchmal wünschte ich, ich könnte heulen, aber als Indianer kenne ich keinen Schmerz; mir fehlen nun mal die entsprechenden Enzyme.

Was mich immer wieder erfreut, ist der Humor der Amerikaner. Nehmen wir zum Beispiel diese Methodisten:


Genau hinsehen... JA, das ist der Friedhof. Na DAS wäre mal ein ruhiger Zeltplatz gewesen. Leider 107 Kilometer vor dem Tagesziel.

An einer Tanke tanke ich Flüssigkeit und Kohlenhydrate (und ein wenig Twix und Snickers). Der Alabamer neben mir ist nicht besonders gesprächig, was mich aber nicht weiter stört. Wir Männer starren nun mal gerne schweigend ins Lagerfeuer. Uns fehlt das Plapper-Gen. In den fünf Minuten, in denen ich hier sitze, esse und trinke, reden wir kein Wort. Als ich mich wieder auf den Weg mache, verabschieden wir uns wie Brüder voneinander.

 

Auf dem Holzweg
Als ich heute an einer Kreuzung eine kurze Pause eingelegt habe, sind innerhalb kürzester Zeit zig Holztransporter an mir vorbeigerast. Und zwar aus allen Richtungen: von Nord, Ost, West und Ost. Das hat mein Logikzentrum in Unruhe versetzt und ich habe anschließend einen Gutteil des heutigen Tages darüber gebrütet, was das wohl für Gründe haben kann. Warum bringt ein Laster Holz von Süden nach Norden und ein anderer Holz von Norden nach Süden. Dito mit Ost-West. Grübel.

Möglichkeit A:
Das Arbeitsamt von Alabama hat ein Programm für Holztransporter-Fahrer aufgelegt. Jetzt fahren Tausende von Alabamern mit Führerschein dicke Holzlaster kreuz und quer durch die Gegend und das Arbeitsamt und die Trucker sind glücklich. Das Holz wird einmal auf- und nie wieder abgeladen, nur die Fahrer wechseln sich laufend ab. Auf diese Weise schafft die Politik die Quadratur des Kreises: die Leute sind VON der Straße, indem sie AUF der Straße sind.

Möglichkeit B:
Das Arbeitsamt von Alabama hat ein Programm für Holztransporter-Fahrer aufgelegt, aber ein findiges Kurierunternehmen für pharmazeutische Produkte hat alle Holztransporter Alabamas aufgekauft und finanziert auf Kosten des alabamischen Arbeitsamtes jetzt die eigenen Kurierdienste. Als Holzlasterfahrer getarnte Pharmakuriere düsen auf Kosten des Steuerzahlers durchs Land. Und wenn der Kurier das Aspirin überreicht, fragt er vielleicht noch „Und -brauch ma no a bissal a Hoiz füa’s Lagerfeuer?“

Möglichkeit C:
Im Norden Alabamas holzt man ab, verlädt auf LKWs und lässt die Baumstämme nach Süden transportieren. Kurz darauf stellt man fest, dass der Wald nicht mehr da ist, wo er gestern noch war. PANIK! Kein Wald mehr, um Gottes willen! Also bestellt man Wald aus dem Süden, wo sofort Bäume gefällt, auf LKWs verladen und nach Norden transportiert werden. Woraufhin man im Süden feststellt, dass plötzlich kein Wald mehr usw.

Möglichkeit D:
Ich bin Opfer einer optischen Täuschung. So wie im Film „Top Secret“, wo eine nicht mehr enden wollende Kolonne aus Militärfahrzeugen an zwei Wachposten vorbeidonnert. Als die Kamera irgendwann ein wenig auf Distanz geht, sieht man, dass es nur eine Handvoll Autos sind, die immer im Kreis fahren, was man aber in der Nahaufnahme nicht sieht. 

So, und jetzt ist Schluss für heute.

Till Senn

2 Kommentare:

  1. Lieber Hermann,

    die Freude auf den Gelf von Mexiko möchte ich dir ja nicht nehmen, aber hast du dein Ölzeug dabei? Denkaufgabe :-)
    Weiterhin alles Gute!
    R.

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  2. Hi Hermann,

    dass Dich in Alabama viel Holz (Bäume) erwartet, hättest Du als Bayer doch schon vorher wissen müssen. Du hättest ja den Umweg über Kanabama nehmen können... ;-)

    Ciao
    Tino

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