Florida Keys: Key Colony Beach – Key West
Tages-Km: 101
Gesamt-Km: 7.468
Zeit im Sattel: 5:27
Wetter: Bewölkt bis heiter
Temperatur: 23 – 32°C
Der alte Mann und das Meer
122 Tage habe ich es im Gepäck mitgeschleppt. Heute kam der die Stunde des TRANSAMERICA-Trikots.
In der Nacht tobte sich wieder eines dieser tropischen Unwetter aus. Heute Morgen, am Morgen der letzten Etappe dieser langen Reise sah noch gar nicht gut aus. Die Straßen standen unter Wasser und dicke und dunkle Wolken hingen bedrohlich tief.
Wer wagt, gewinnt. Also bin ich wie geplant um 8:00 Uhr aufgebrochen. Gleich zu Beginn stand die „7-Mile-Bridge“ an, die längste Brücke des Overseas Highway. Sie verbindet die Inseln „Vaca Key“ und „Bahia Honda“. Wie der Name sagt, eine 7 Meilen (11 Kilometer) lange Brücke. 500 Meter VOR der Brücke stand ich plötzlich vor diesem Schild:
Im ersten Moment dachte ich „Das kann nicht wahr sein, das DARF nicht wahr sein!“ Aber schon im nächsten Augenblick setzte sich des Radlhanses Mantra durch: „Never surrender! Egal, was jetzt kommt, ich fahre über diese Brücke. Und wenn am Ende ein 7 Kilometer langer Stau von Autos hinter mir herzuckelt. Ich fahre über diese Brücke.“ Die Baustelle endete glücklicherweise exakt am Beginn der Brücke. Du meine Güte! Was müssen die mich so kurz vor Schluss so erschrecken. Wer auch immer „die“ sind, „sie“ haben mich jedenfalls erschrocken. Das sind weltweit immer dieselben „die“. Wie oft sagen wir: „Wos baun’s denn do scho wieder?“ oder „Jetzt ham’s des scho wieder aufgrissen.“
So sah das zu Beginn aus: Rechts die alte (Eisenbahn- und später dann alte Autobrücke), links die neue Brücke des Overseas Highway, auf der ich 11 Kilometer übers Wasser gefahren bin. Hey! Ich kann über das Wasser RADELN! Acht Semester Theologie haben sich also doch gelohnt.
Von Kilometer 9 an bis zum Ende der Brücke hat mich ein Pelikan begleitet.
Der neugierige Vogel segelte teilweise in zwei Meter Entfernung neben mir her. Hat wohl noch nie einen radelnden Bayern im Transamerica-Trikot gesehen. Oder er hat mich trotz der elf abgenommenen Kilos für einen dicken Fisch mit einem Fahrrad gehalten. Oder er war einfach freundlich, als er gemerkt hat, dass ich allein unterwegs bin und eigentlich gar nicht in Key West ankommen mag, weil dann diese unglaubliche Reise zu Ende sein würde. Wie dem auch sei, er war mir ein treuer Begleiter auf den letzten beiden Brückenkilometern. Die Segelkunst hat mich fasziniert. Der dicke Brummer hat die Flügel kaum bewegt, während ich gar nicht mehr dicker Brummer gestrampelt habe wie ein Weltmeister; aber ich klebte am Boden, während er in der Luft schwebte wie eine Feder. Vermutlich war es gar kein Pelikan sondern ein Kolibri, der sich zu Halloween ein Pelikankostüm ausgeliehen hat und jetzt mächtig damit angibt, dass er segeln kann, ohne die Flügel zu bewegen. Könnte ich auch, wenn ich ein Kolibri in einem Pelikankostüm wäre. Pah!
Noch etwas aus dem Tierleben. In den Mangrovensümpfen der Florida Keys leben wilde Leguane. Was bin ich erschrocken, als wenige Meter vor mir plötzlich drei dieser bis zu 1,50 Meter langen Echsen scheinbar aus dem Nichts materialisierten und mit beachtlicher Geschwindigkeit im dichten Unterholz des Sumpfes verschwanden. Leguane sitzen offenbar gerne in Tarnkleidung am Straßenrand und erschrecken Radfahrer; ich bin mindestens an 50 vorbeigeradelt heute. Man sieht diese Viecher allerdings nicht, da sie sich perfekt dem Gelände anpassen; erst wenn sie sich bewegen, nimmt man sie wahr. Weil sie entweder schlecht hören, ohne Brille unterwegs sind oder gut schlafen, bewegten sie sich ziemlich spät; meistens erst dann, wenn ich fast schon auf gleicher Höhe war. Dann allerdings sind sie wie der Blitz unterwegs und waren verschwunden, bevor ich das Wort „Foto“ auch nur denken konnte. Lediglich eine einzige Echse konnte ich fotografieren – weil sie nicht mehr fortlaufen konnte:
Der Radweg entlang der Florida Keys ist erstaunlich gut ausgebaut. Viele der alten und parallel zum Highway verlaufenden Eisenbahnbrücken wurden (und werden) zu Radlerbrücken umgebaut.
Ich kann die zwei- bis dreitägige Fahrt (es sind 180 Kilometer) von Key Largo bis Key West jedem ans Herz legen, der gerne einmal Anfang Dezember oder im Januar/Februar in kurzer Hose und T-Shirt eine unvergessliche Radtour durch die Florida Keys unternehmen möchte. Am Flughafen in Key West für 40 Dollar ein Auto mieten und zurück nach Key Largo fahren. In Florida verlangen die Autovermieter keine „Drop Fee“ für „one-way“-Mieten. Billiger geht’s nicht. Zwischendrin nicht vergessen, das Rad immer mal wieder kurz an eine Palme zu lehnen und ins Meer zu hüpfen, ja?
Bei Mile Marker 24 bin ich im Gedenken an den Radlhans zur „Sugarloaf Food Company“ abgebogen…
… und habe für 10 irdische Dollar zwei göttliche Stück „Key Lime Cheese Cake“ … hm… verkostet.
Na ja, wer mich kennt, der weiß, dass „verschlungen“ die treffendere Bezeichnung ist. Die Teile hatten das spezifische Gewicht von Blei, schmeckten aber natürlich viel besser! Dennoch: EIN Stück hätte gereicht. Hätte, wäre, wenn. Klar, dass mir danach für zwei Stunden schlecht war. Außerdem habe ich es geschafft, bei einer Nahaufnahme das Objektiv in den Kuchen zu pressen. Der Kuchen hat danach lustig ausgesehen, das Objektiv nicht. War DAS ein Gezupple, bis ich es wieder sauber, trocken und einsatzbereit hatte. Muss ich erwähnen, dass ich während der ganzen Zeit ruhig und gelassen blieb?
Auf den letzten dreißig Kilometern hatte ich nicht nur einen Gabelstapler im Magen, sondern auch mächtig mit den Temperaturen zu kämpfen. Ich weiß, dass ihr das in Deutschland schwer nachvollziehen könnt und Mitleid das LETZTE ist, war ich dafür ernten werde, aber es WAR ZU HEISS für mich! Dazu kommt ja in diesem tropischen Klima noch die enorme Luftfeuchtigkeit. Mein Kühlsystem kam einfach nicht mehr nach, aber ich wollte so kurz vor Schluss keine Pause mehr einlegen und habe mich der alten Dummheit besonnen, dass mehr Tempo logischerweise für mehr Kühlwind sorgt. Also habe ich – Gabelstapler hin oder her - das Gaspedal ein letztes Mal kräftig durchgedrückt und Key West schließlich im Trancezustand erreicht. Zack - war ich wieder hellwach. Nun ging es ein wenig um die Stadt herum, ein wenig mitten durch und auf einmal stand ich am südlichsten Punkt der USA.
Von hier bis Kuba ist es ungefähr so weit wie von Altötting bis Augsburg. Wobei ich im Augenblick lieber nach Kuba schwimmen als nach Augsburg fliegen möchte. Für dieses Ziel-Foto musste ich mich in eine laaaaaange Schlange einreihen und dann husch-husch fotografieren. Diese Luscher kommen hier scharenweise mit dem Auto an, steigen aus (manche kurbeln nur das Fenster runter und fotografieren im Vorbeifahren), lassen sich neben der Tonne ablichten, steigen wieder ein und fahren weg. JA DÜRFEN DIE DAS? Wegen des endlosen Andrangs an Luschern hatte ich leider keine Möglichkeit, ein wenig mit der Kamera zu experimentieren und verschiedene Bilder zu schießen. Schade, aber nicht zu ändern. Die erste, die mich dort gleich angepflaumt hat, weil ich ihr im Bild stand, war: eine DEUTSCHE. Darf ich bitte nach Kuba schwimmen?
So, nun bin ich also dort, wo es nicht mehr weiter geht. Und wie fühle ich mich jetzt? Was geht mir durch den Kopf? Die Antwort auf beide Fragen ist dieselbe: „Viel. Viel Widersprüchliches.“ Im Moment überwiegt Melancholie. Ich will NIE, dass meine langen Rad-Reisen enden. Je länger, desto schwieriger ist das Ende für mich. Diesmal war ich 123 Tage unterwegs, seit meiner ersten Reise im Jahr 2007 habe ich insgesamt 10 Monate in den USA zugebracht und dabei 16.788 Kilometer mit dem Rad zurückgelegt. Ich bin ein wenig zum Wanderer (Radler?) zwischen den Welten geworden.
Ich erlebe in manchen Wochen auf dem Rad mehr als andere in ihrem ganzen Leben. Mit dem Rad reisen ist intensiv. Klar, es gibt viele Routinen, aber niemals Alltag. Jeder Tag ist wie ein kleines ganzes Leben, von dem ich morgens nicht weiß, was es bringen und wie es enden wird (es sei denn, ich esse zwei Stücke Key Lime Cheese Cake zum Frühstück). Ich treffe jeden Tag neue Leute, rede, höre, sehe, lerne kennen, bin sprachlos. Dann die ständig wechselnde Landschaft: Kanada mit seinen Wäldern und Bergen und Seen und Flüssen, Montana mit Lamas statt Pferden und Mücken aus Hessen, das unendliche und menschenleere Wyoming, Colorado mit den gewaltigen Pässen der Rocky Mountains, gefolgt vom Kontrastprogramm „Kansas“ und seiner endlosen Prärie. Und weiter ging’s: Missouri und der traumhafte Katy Trail, ein wenig den Mississippi River Trail entlang, dann kam Kentucky und seine Killer-Hügel, Tennessee und ein Eckchen Mississippi mit dem Nachez Trace Parkway, Alabama (Bäh) und die Holzlaster (Doppel-Bäh). Dann schließlich der Golf von Mexiko. Ab dem Moment, an dem ich das Meer erreicht hatte, begann eine Reise innerhalb meiner Reise. Das Meer zieht mich nun mal magisch an. Glitzerwasser ist eine Droge für meine Augen und Balsam für meine Seele. In Florida durfte ich sogar 800 Kilometer lang die Atlantikküste entlang radeln. Absoluter (und völlig unerwarteter) Höhepunkt zum Schluss dann die Florida Keys. Es ist unvorstellbar, was man in vier Monaten auf dem Rad erleben kann.
Dazu passend mein Nr.1-Lieblings-Filmzitat. Es stammt aus "Blade Runner". Wer erinnert sich noch an Roys letzte Worte auf dem Dach des Hochhauses? Sie treffen jedenfalls mein Lebensgefühl zu 100%, wenngleich ich mir den letzten Satz gerne noch ein wenig aufsparen würde:
Nehmt die Melodramatik raus und es ist großartig. Apropos. Auch aus sportlicher Sicht ist die Bilanz hervorragend. Ich bin in der Form meines Lebens und kann im Augenblick mit all dem Gepäck 150 Kilometer mit kurzen Trink-/Esspausen problemlos durchradeln, ohne anschließend ins Koma zu fallen. Ich habe etwa 11 Kilo abgenommen und musste mir schon einen Gürtel kaufen. Fitness und Fettness werden sich aber leider schnell wieder einpendeln, fürchte ich. (Braucht jemand so um die Jahreswende vielleicht einen Gürtel? Eventuell im Tausch gegen eine Hose mit Elastikbund?)
Meine schwersten Verletzungen waren Mückenstiche. Ich habe ansonsten keinen Kratzer davongetragen, mein Rad keinen einzigen Platten erlitten (der Anhänger 7), ich bin nicht bestohlen worden und musste nicht ein einziges Mal Strafe wegen überhöhter Geschwindigkeit zahlen.
Apropos Zahlen:
Tja, ich schätze, ich bin dann bald mal wieder da.
Hermann Plasa
Eine abschließende Bitte in eigener Sache an alle Blogleser:
Ich würde mich über einen abschließenden Kommentar oder ein paar Zeilen per E-Mail freuen, insbesondere von denjenigen, die diesen Blog über einen längeren Zeitraum hin oder sogar komplett mitverfolgt haben. Wie beim Mississippi River Trail werde ich auch für diese Reise den Blog zu einem Buch umarbeiten, das spätestens im Januar erscheinen soll. Falls ihr Anregungen dazu habt – ich bin ganz Ohr. Ansonsten interessiert mich: Was hat euch, die regelmäßigen Blog-Leser zu REGELMÄSSIGEN Lesern gemacht hat? Wovon hätte es mehr sein dürfen und wovon weniger? Was hätte vielleicht ein wenig anders sein sollen?
Wer ungern Kommentare öffentlich abgibt oder das technische Heckmeck des Blogs scheut, der möge mir ein Mail schreiben an: Hermann.Plasa@googlemail.com
Tages-Km: 101
Gesamt-Km: 7.468
Zeit im Sattel: 5:27
Wetter: Bewölkt bis heiter
Temperatur: 23 – 32°C
Der alte Mann und das Meer
122 Tage habe ich es im Gepäck mitgeschleppt. Heute kam der die Stunde des TRANSAMERICA-Trikots.
In der Nacht tobte sich wieder eines dieser tropischen Unwetter aus. Heute Morgen, am Morgen der letzten Etappe dieser langen Reise sah noch gar nicht gut aus. Die Straßen standen unter Wasser und dicke und dunkle Wolken hingen bedrohlich tief.
Wer wagt, gewinnt. Also bin ich wie geplant um 8:00 Uhr aufgebrochen. Gleich zu Beginn stand die „7-Mile-Bridge“ an, die längste Brücke des Overseas Highway. Sie verbindet die Inseln „Vaca Key“ und „Bahia Honda“. Wie der Name sagt, eine 7 Meilen (11 Kilometer) lange Brücke. 500 Meter VOR der Brücke stand ich plötzlich vor diesem Schild:
Im ersten Moment dachte ich „Das kann nicht wahr sein, das DARF nicht wahr sein!“ Aber schon im nächsten Augenblick setzte sich des Radlhanses Mantra durch: „Never surrender! Egal, was jetzt kommt, ich fahre über diese Brücke. Und wenn am Ende ein 7 Kilometer langer Stau von Autos hinter mir herzuckelt. Ich fahre über diese Brücke.“ Die Baustelle endete glücklicherweise exakt am Beginn der Brücke. Du meine Güte! Was müssen die mich so kurz vor Schluss so erschrecken. Wer auch immer „die“ sind, „sie“ haben mich jedenfalls erschrocken. Das sind weltweit immer dieselben „die“. Wie oft sagen wir: „Wos baun’s denn do scho wieder?“ oder „Jetzt ham’s des scho wieder aufgrissen.“
So sah das zu Beginn aus: Rechts die alte (Eisenbahn- und später dann alte Autobrücke), links die neue Brücke des Overseas Highway, auf der ich 11 Kilometer übers Wasser gefahren bin. Hey! Ich kann über das Wasser RADELN! Acht Semester Theologie haben sich also doch gelohnt.
Der neugierige Vogel segelte teilweise in zwei Meter Entfernung neben mir her. Hat wohl noch nie einen radelnden Bayern im Transamerica-Trikot gesehen. Oder er hat mich trotz der elf abgenommenen Kilos für einen dicken Fisch mit einem Fahrrad gehalten. Oder er war einfach freundlich, als er gemerkt hat, dass ich allein unterwegs bin und eigentlich gar nicht in Key West ankommen mag, weil dann diese unglaubliche Reise zu Ende sein würde. Wie dem auch sei, er war mir ein treuer Begleiter auf den letzten beiden Brückenkilometern. Die Segelkunst hat mich fasziniert. Der dicke Brummer hat die Flügel kaum bewegt, während ich gar nicht mehr dicker Brummer gestrampelt habe wie ein Weltmeister; aber ich klebte am Boden, während er in der Luft schwebte wie eine Feder. Vermutlich war es gar kein Pelikan sondern ein Kolibri, der sich zu Halloween ein Pelikankostüm ausgeliehen hat und jetzt mächtig damit angibt, dass er segeln kann, ohne die Flügel zu bewegen. Könnte ich auch, wenn ich ein Kolibri in einem Pelikankostüm wäre. Pah!
Noch etwas aus dem Tierleben. In den Mangrovensümpfen der Florida Keys leben wilde Leguane. Was bin ich erschrocken, als wenige Meter vor mir plötzlich drei dieser bis zu 1,50 Meter langen Echsen scheinbar aus dem Nichts materialisierten und mit beachtlicher Geschwindigkeit im dichten Unterholz des Sumpfes verschwanden. Leguane sitzen offenbar gerne in Tarnkleidung am Straßenrand und erschrecken Radfahrer; ich bin mindestens an 50 vorbeigeradelt heute. Man sieht diese Viecher allerdings nicht, da sie sich perfekt dem Gelände anpassen; erst wenn sie sich bewegen, nimmt man sie wahr. Weil sie entweder schlecht hören, ohne Brille unterwegs sind oder gut schlafen, bewegten sie sich ziemlich spät; meistens erst dann, wenn ich fast schon auf gleicher Höhe war. Dann allerdings sind sie wie der Blitz unterwegs und waren verschwunden, bevor ich das Wort „Foto“ auch nur denken konnte. Lediglich eine einzige Echse konnte ich fotografieren – weil sie nicht mehr fortlaufen konnte:
Der Radweg entlang der Florida Keys ist erstaunlich gut ausgebaut. Viele der alten und parallel zum Highway verlaufenden Eisenbahnbrücken wurden (und werden) zu Radlerbrücken umgebaut.
Ich kann die zwei- bis dreitägige Fahrt (es sind 180 Kilometer) von Key Largo bis Key West jedem ans Herz legen, der gerne einmal Anfang Dezember oder im Januar/Februar in kurzer Hose und T-Shirt eine unvergessliche Radtour durch die Florida Keys unternehmen möchte. Am Flughafen in Key West für 40 Dollar ein Auto mieten und zurück nach Key Largo fahren. In Florida verlangen die Autovermieter keine „Drop Fee“ für „one-way“-Mieten. Billiger geht’s nicht. Zwischendrin nicht vergessen, das Rad immer mal wieder kurz an eine Palme zu lehnen und ins Meer zu hüpfen, ja?
Bei Mile Marker 24 bin ich im Gedenken an den Radlhans zur „Sugarloaf Food Company“ abgebogen…
… und habe für 10 irdische Dollar zwei göttliche Stück „Key Lime Cheese Cake“ … hm… verkostet.
Na ja, wer mich kennt, der weiß, dass „verschlungen“ die treffendere Bezeichnung ist. Die Teile hatten das spezifische Gewicht von Blei, schmeckten aber natürlich viel besser! Dennoch: EIN Stück hätte gereicht. Hätte, wäre, wenn. Klar, dass mir danach für zwei Stunden schlecht war. Außerdem habe ich es geschafft, bei einer Nahaufnahme das Objektiv in den Kuchen zu pressen. Der Kuchen hat danach lustig ausgesehen, das Objektiv nicht. War DAS ein Gezupple, bis ich es wieder sauber, trocken und einsatzbereit hatte. Muss ich erwähnen, dass ich während der ganzen Zeit ruhig und gelassen blieb?
Auf den letzten dreißig Kilometern hatte ich nicht nur einen Gabelstapler im Magen, sondern auch mächtig mit den Temperaturen zu kämpfen. Ich weiß, dass ihr das in Deutschland schwer nachvollziehen könnt und Mitleid das LETZTE ist, war ich dafür ernten werde, aber es WAR ZU HEISS für mich! Dazu kommt ja in diesem tropischen Klima noch die enorme Luftfeuchtigkeit. Mein Kühlsystem kam einfach nicht mehr nach, aber ich wollte so kurz vor Schluss keine Pause mehr einlegen und habe mich der alten Dummheit besonnen, dass mehr Tempo logischerweise für mehr Kühlwind sorgt. Also habe ich – Gabelstapler hin oder her - das Gaspedal ein letztes Mal kräftig durchgedrückt und Key West schließlich im Trancezustand erreicht. Zack - war ich wieder hellwach. Nun ging es ein wenig um die Stadt herum, ein wenig mitten durch und auf einmal stand ich am südlichsten Punkt der USA.
Von hier bis Kuba ist es ungefähr so weit wie von Altötting bis Augsburg. Wobei ich im Augenblick lieber nach Kuba schwimmen als nach Augsburg fliegen möchte. Für dieses Ziel-Foto musste ich mich in eine laaaaaange Schlange einreihen und dann husch-husch fotografieren. Diese Luscher kommen hier scharenweise mit dem Auto an, steigen aus (manche kurbeln nur das Fenster runter und fotografieren im Vorbeifahren), lassen sich neben der Tonne ablichten, steigen wieder ein und fahren weg. JA DÜRFEN DIE DAS? Wegen des endlosen Andrangs an Luschern hatte ich leider keine Möglichkeit, ein wenig mit der Kamera zu experimentieren und verschiedene Bilder zu schießen. Schade, aber nicht zu ändern. Die erste, die mich dort gleich angepflaumt hat, weil ich ihr im Bild stand, war: eine DEUTSCHE. Darf ich bitte nach Kuba schwimmen?
So, nun bin ich also dort, wo es nicht mehr weiter geht. Und wie fühle ich mich jetzt? Was geht mir durch den Kopf? Die Antwort auf beide Fragen ist dieselbe: „Viel. Viel Widersprüchliches.“ Im Moment überwiegt Melancholie. Ich will NIE, dass meine langen Rad-Reisen enden. Je länger, desto schwieriger ist das Ende für mich. Diesmal war ich 123 Tage unterwegs, seit meiner ersten Reise im Jahr 2007 habe ich insgesamt 10 Monate in den USA zugebracht und dabei 16.788 Kilometer mit dem Rad zurückgelegt. Ich bin ein wenig zum Wanderer (Radler?) zwischen den Welten geworden.
Ich erlebe in manchen Wochen auf dem Rad mehr als andere in ihrem ganzen Leben. Mit dem Rad reisen ist intensiv. Klar, es gibt viele Routinen, aber niemals Alltag. Jeder Tag ist wie ein kleines ganzes Leben, von dem ich morgens nicht weiß, was es bringen und wie es enden wird (es sei denn, ich esse zwei Stücke Key Lime Cheese Cake zum Frühstück). Ich treffe jeden Tag neue Leute, rede, höre, sehe, lerne kennen, bin sprachlos. Dann die ständig wechselnde Landschaft: Kanada mit seinen Wäldern und Bergen und Seen und Flüssen, Montana mit Lamas statt Pferden und Mücken aus Hessen, das unendliche und menschenleere Wyoming, Colorado mit den gewaltigen Pässen der Rocky Mountains, gefolgt vom Kontrastprogramm „Kansas“ und seiner endlosen Prärie. Und weiter ging’s: Missouri und der traumhafte Katy Trail, ein wenig den Mississippi River Trail entlang, dann kam Kentucky und seine Killer-Hügel, Tennessee und ein Eckchen Mississippi mit dem Nachez Trace Parkway, Alabama (Bäh) und die Holzlaster (Doppel-Bäh). Dann schließlich der Golf von Mexiko. Ab dem Moment, an dem ich das Meer erreicht hatte, begann eine Reise innerhalb meiner Reise. Das Meer zieht mich nun mal magisch an. Glitzerwasser ist eine Droge für meine Augen und Balsam für meine Seele. In Florida durfte ich sogar 800 Kilometer lang die Atlantikküste entlang radeln. Absoluter (und völlig unerwarteter) Höhepunkt zum Schluss dann die Florida Keys. Es ist unvorstellbar, was man in vier Monaten auf dem Rad erleben kann.
Dazu passend mein Nr.1-Lieblings-Filmzitat. Es stammt aus "Blade Runner". Wer erinnert sich noch an Roys letzte Worte auf dem Dach des Hochhauses? Sie treffen jedenfalls mein Lebensgefühl zu 100%, wenngleich ich mir den letzten Satz gerne noch ein wenig aufsparen würde:
"I've seen things you people wouldn't believe. Attack ships on fire off the shoulder of Orion. I've watched c-beams glitter in the dark near the Tannhäuser Gate. All those moments will be lost in time, like tears in rain. Time to die."
Nehmt die Melodramatik raus und es ist großartig. Apropos. Auch aus sportlicher Sicht ist die Bilanz hervorragend. Ich bin in der Form meines Lebens und kann im Augenblick mit all dem Gepäck 150 Kilometer mit kurzen Trink-/Esspausen problemlos durchradeln, ohne anschließend ins Koma zu fallen. Ich habe etwa 11 Kilo abgenommen und musste mir schon einen Gürtel kaufen. Fitness und Fettness werden sich aber leider schnell wieder einpendeln, fürchte ich. (Braucht jemand so um die Jahreswende vielleicht einen Gürtel? Eventuell im Tausch gegen eine Hose mit Elastikbund?)
Meine schwersten Verletzungen waren Mückenstiche. Ich habe ansonsten keinen Kratzer davongetragen, mein Rad keinen einzigen Platten erlitten (der Anhänger 7), ich bin nicht bestohlen worden und musste nicht ein einziges Mal Strafe wegen überhöhter Geschwindigkeit zahlen.
Apropos Zahlen:
- Gesamtstrecke: 7.468 Kilometer (ca. Luftlinie München – Peking)
- Zeit im Sattel: 434 Stunden, 25 Minuten
- Höhenmeter: 37.527
- Reisetage: 123 Tage
- Davon Radeltage: 83
- Davon (richtige) Regentage: 2 (unglaublich, nur ZWEI)
- Krankheitstage: 6
- Höchster Punkt der Reise: Hoosier Pass, Colorado: 3.517 Meter
- Längste Etappe: 153 Kilometer
- Kürzeste Etappe: 20 Kilometer
- Niedrigste Temperatur: -2° C, Willow Creek Campground, Colorado
- Höchste Temperatur: 37°C, mitten in der Prärie, Kansas
Tja, ich schätze, ich bin dann bald mal wieder da.
Hermann Plasa
ENDE
------------------------------
Eine abschließende Bitte in eigener Sache an alle Blogleser:
Ich würde mich über einen abschließenden Kommentar oder ein paar Zeilen per E-Mail freuen, insbesondere von denjenigen, die diesen Blog über einen längeren Zeitraum hin oder sogar komplett mitverfolgt haben. Wie beim Mississippi River Trail werde ich auch für diese Reise den Blog zu einem Buch umarbeiten, das spätestens im Januar erscheinen soll. Falls ihr Anregungen dazu habt – ich bin ganz Ohr. Ansonsten interessiert mich: Was hat euch, die regelmäßigen Blog-Leser zu REGELMÄSSIGEN Lesern gemacht hat? Wovon hätte es mehr sein dürfen und wovon weniger? Was hätte vielleicht ein wenig anders sein sollen?
Wer ungern Kommentare öffentlich abgibt oder das technische Heckmeck des Blogs scheut, der möge mir ein Mail schreiben an: Hermann.Plasa@googlemail.com