25. Juli (Tag 30)

Vom Bitterroot Campground zum "Chief Joseph Pass" und wieder zurück

Tages-Km: 130
Gesamt-Km: 1.812
Höhenmeter: 1.032
Zeit im Sattel: 06:51
Wetter: S.O.N.N.I.G.
Temperatur: 22 - 37° C


"Die Schwarzen Reiter"
Diesen Blogeintrag widme ich meinem Freund und Insektenfachmann Radlpeter. Ähnlich wie Radlhans ist auch Radlpeter ein Mensch von tiefer Weisheit, einfühlsamer Zuhörer in schweren Stunden und wertvoller Ratgeber in der Not. Als solcher hat er mir nach meinen Klagen über Mücken in seinem Kommentar zum Blogeintrag vom 20 Juli empfohlen, ich solle den Tierchen nur wohlgesonnen sein und schon sei alles in Butter. Lieber Peter von Assisi, es ist schade, dass Du den heutigen ausgedehnten Radausflug auf den "Chief Joseph Pass" nicht mit genießen durftest. Zu gerne hätte ich als eifriger Schüler den Meister beim Wohlgesonnensein studiert. Ich wäre mit laufender Videokamera hinter Dir her geradelt, um der ganzen Welt Deine hohe Kunst der Güte gegenüber Myriaden von Drecksmücken, Drecksfliegen, Drecksbremsen und Drecksirgendwas aus erster Hand überliefern zu können.

Was hat sich die Evolution eigentlich dabei gedacht, derart übles Viehzeug in derart großen Mengen überleben zu lassen, während die Dinos abtreten mußten? Ich wette 1:1.000.000, dass mich heute nicht ein einziger Dinosaurier den Pass hinauf verfolgt hätte. NICHT EIN EINZIGER!!! Stattdessen aber 4,8 Millionen Mücken und Fliegen und Bremsen und irgendwas, das ich nicht kenne, das aber ungeachtet meiner insektologischen Bildungslücke dreckslästig ist und sticht oder beißt oder Stech- bzw. Beißwaffen erfunden hat und diese an Menschen testet. Insekten haben ja von Haus aus dieses unheimliche Gespür für die richtige Körperstelle zum richtigen Zeitpunkt. Nur dumme Mücken stechen einen während einer Pause in den Unterarm. Erfahrene Exemplare entscheiden sich für die Kniekehle oder die Stelle genau zwischen den Schulterblättern.

Wenn man sich mit dem Fahrrad einen Pass hinauf schindet, wenn der Radler also den Lenker mit beiden Händen fest umklammert, keinesfalls aus dem Rhythmus kommen will und keucht wie Emma, die Dampflokomotive: dann - genau dann tanzen und wimmeln und schwirren einem diese Elendskreaturen ungeniert vor dem Gesicht herum, ihre blödes Facettenaugengesicht zu einem hämischen Grinsen verzogen. "Schlag doch zu" scheinen Sie einem zuzurufen. "Schlag doch, hihi." Die Machos unter den Insekten lassen sich zur Krönung des Ganzen nur allzu gerne auf der Nase des Radlers nieder, wohl wissend, dass sie schneller sind als die zittrige Hand des schwer Atmenden und dabei nicht zu Unrecht auf den Lacheffekt bei den Insektinnen setzend, sobald sich der Radler zum wiederholten Mal mit voller Wucht die flachen Hand auf die eigene Nase drischt. Eine offenbar aus Hessen stammende Mücke hat das heute sogar vier Mal geschafft und mir dann jedes Mal, wieder in sicherer Entfernung vor meinem Gesicht schwirrend, zugerufen: „Ey Alder, mach disch logger“.

Ich habe mich heute auf dem langen und heißen Weg (100 Grad Fahrenheit, was 37 Grad Celsius entspricht) hinauf zum „Chief Jospeh Pass“ wahrscheinlich schlimmer mißhandelt als die eifrigsten Flagellanten zur Blütezeit der Selbstgeißelung. Der Erfolg meiner Bemühungen lässt sich zwar sehen - Insektenleichen pflastern meinen Weg - aber die Überzahl war letztlich zu groß und mein Gesicht sieht jetzt aus wie nach einer Wirtshausschlägerei. Wohlgesonnen... my ass. Peter von Assisi, das kostet Dich Anfang November ein ordentliches Essen in der Waldschenke.

Und jetzt zu den Schlagzeilen des Tages:
"Aus dem Bundeskanzleramt ... Moment, ich bekomme gerade eine Eilmeldung aus den USA und schalte um zu unserem Amerika-Korrespondenten Maik Äver, der sich mit breaking news live aus dem Bitterroot Valley in Montana meldet. Hallo Maik! Was ist los bei euch da drüben?"

"Hallo zurück nach Deutschland. Tja, hier im Bitterroot Valley ist die Hölle los. Oder sollte ich besser sagen - der Himmel? Schwer zu sagen im Augenblick. Alles fing heute morgen damit an, dass beim Sherriff im Bitterroot Valley Meldungen verstörter Augenzeugen über zwei schwarz gekleideten Gestalten eintrafen, die auf seltsamen Pferden den Chief Joseph Pass hinauf reiten. Dabei sollen sich die zwei Reiter ständig selbst geschlagen und dabei laut in fremden Zungen gesprochen haben. Auf dem Gipfel angelangt, so wird von weiteren Augenzeugen berichtet, hätten die unheimlichen Gestalten Blut aus goldenen Kelchen getrunken. Der Fairnes halber soll nicht unerwähnt bleiben, dass andere Zeugen von zwei 16 OZ Dosen Coors Light sprechen. In einem Punkt sind sich aber wieder alle einig; während dieses seltsamen Rituals auf dem Chief Joseph Pass, einer nach dem großen Indianerhäuptling "Chief Joseph" benannten uralten und heiligen Stätte und gleichzeitig auch die Continental Divide, hätten sich die ganz in Schwarz Gekleideten einander auf die Schulter geklopft und sich wiederum in fremden Zungen unverständliche Worte zugerufen.

Während die Augenzeugen in psychologischer Behandlung sind bzw. von Sicherzeitskräften und dem CIA vernommen werden, scheint sich das Ganze zu einer religiösen Erweckungsbewegung zu entwickeln. Überall im Bitterroot Valley kann man bereits Kinder, Frauen und Männer dabei zu beobachten, wie sie mit rostigen Fahrrädern kreuz und quer durchs Dorf radeln, sich dabei ständig ins Gesicht und an den Körper schlagen und unverständliches Zeug rufen, von dem deutschstämmige Einwanderer schwören, es erinnere sie an bayerische Flüche. Der Sektenbeauftragte aus Montana wurde eingeschaltet. Die Fahnung nach den zwei Geheimnisvollen läuft auf vollen Touren. Der Missoulian titelt bereits "Die schwarzen Reiter kommen - Apokalypse now?". Aus zuverlässigen Kreisen wird berichtet, dass sich die Kreationisten auf die Wiederkehr des Messias vorbereiten und auch schon die ersten großflächigen Plakate angebracht haben.

Soviel fürs Erste aus dem Bitteroot Valley, Montana, USA. Zurück ins Studio nach Deutschland."

"Danke an Maik Äver nach Montana. Halten Sie uns auf dem Laufenden! Und jetzt weiter mit den Meldungen aus Berlin. Wie aus dem Kanzerlamt...."

Breiten wir den gnädigen Mantel des Schweigens über die Verlautbarungen des Kanzleramtes und rücken stattdessen lieber die Bilder des Tages in den Mittelpunkt:

Kurz vor der Passhöhe schnuppern wir Idahoer Luft. Allerdings fällt es manchem Schwarzen Reiter offenbar schwer, beim Fototermin ernst zu bleiben...


Gipfelbier an der Passhöhe. Ja, wir schleppten das Kaltgetränk unseres Vertrauens jeden Höhenmeter nach oben. Vielleicht waren die Mücken ja gar nicht auf unser Blut aus?


Dieses Schild kurz vor unserem Campingplatz war heute morgen noch nicht da. Was das zu bedeuten hat, kann ich leider nicht sagen, aber in den Nachrichten ist heute schon den ganzen Tag über von irgendwelchen "Schwarzen Reitern" die Rede.


Bis bald

...Till Senn

2 Kommentare:

  1. Hallo, liebe Leute,

    so viel Plagerei - und dann auch noch die Viecher, die zum Stechen aufgelegt sind! Umso mehr bedankt sich die Fraktion aus dem Rheinland für die unterhaltsamen, ideenreichen und gehaltvollen Nachrichten.
    Die Insektenplage scheint die Eloquenz aber eher zu fördern - ob es da einen Stoff gibt, der den Schreiberling quasi etwas voranbringt? Was meint Ihr?

    Und dass das Mückengetier allesamt in Amerika weilt, ist kein Wunder - hier haben wir zurzeit Sintflut, zumindest in Kölle.
    Viele Grüße Maria Fuchs

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  2. "Der Sektenbeauftragte aus Montana ...": Müsste es nicht "der INsektenbeauftragte" heißen?

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