27. August (Tag 63)

Larned, KS - Hutchinson, KS

Tages-Km: 117
Gesamt-Km: 3.262
Höhenmeter: 380
Zeit im Sattel: 6:52
Wetter: Sonnig
Temperatur: 17 - 27° C


Das sind Alex und Emilio - und natürlich Angie.


Bei Kilometer 25 kamen uns die Beiden entgegen. Tourenradler fahren nur selten aneinander vorbei. Im Normalfall palavert man ein wenig. Die beiden radeln von Cleveland, Ohio nach San Francisco. Und sie hatten eine Geschichte parat: Gestern Abend, so erzählten sie, brach langsam die Dunkelheit herein, aber das Tagesziel lag noch in weiter Ferne. Ein PickUp Truck, der sie zunächst überholt hatte, bremste anschließend ab und stoppte. Der Fahrer stieg aus und wartete auf die Beiden. Ärger? Von wegen. Wie sich herausstellte, war der Fahrer nicht nur der Herausgeber der regionalen Zeitung sondern auch neugierig auf die Geschichte der beiden Radler. Außerdem war er ein wenig besorgt, da die beiden im Zwielicht auf dem Highway unterwegs waren. Als er hörte, wie weit die Zwei noch wollen, zückte er sein Mobiltelefon und organisierte aus dem Stand ein Abendessen samt Übernachtungsgelegenheit. Nach zwei Minuten war alles klar und Alexander und Emilio radelten ein paar Meilen "off road" nach "Seward", ein 63-Einwohner-Dorf, zu dem nur eine Sandstraße führt. Im örtlichen Gasthof wurden sie herzlich von der Frau Bürgermeister empfangen, die im Nebenberuf Wirtin ist. Die Bürgermeisterinmutter managt die Küche. Was will man mehr? Hilfsbereite Menschen, gutes Essen und ein kostenloser Schlafplatz. Und die Moral von der Geschichte? Derartige Dinge erlebt man nur, wenn man mit dem Rad (oder zu Fuß) unterwegs ist. Wer im Auto sitzt, sitzt (ein).

Unsere heutige Etappe führte uns durch das "Quivira National Wildlife Refuge" ein ausgedehntes Naturschutzgebiet mitten in der Prärie von Kansas. Aus Radlersicht bedeutete das 40 Kilometer lang NULL Trucks, kaum Autos und wunderschöne Natur. Solche Momente zählen zu den Perlen derartiger Langstrecken-Reisen. Da bleibt die Zeit stehen und es ist, als würde man sich entspannt zurücklehnen, tief durchatmen und großes Kino genießen. Passend dazu dieser Sessel am Straßenrand inmitten eines riesigen, menschenleeren Naturschutzgebietes. Richtig surreal; ich fühlte mich gleich wieder an "Die Zone" aus "Picknick am Wegesrand" erinnert:


Abgesehen von diesen traumhaften 40 Kilometern war es ansonsten die eher dröge Hausmannskost, die wir seit Pueblo in Ost-Colorado genießen: Schnurgerade Straßen, viel Seitenwind und wenig Pannenstreifen. Seit Tagen grüble ich an einer Lösung, die zwischen Wind- und Kitesurfen liegt und nach der wir mit Hilfe unserer Regenjacken gemütlich bis Missouri segeln könnten. Der Wind würde passen, da er in der richtigen Stärke (4 - 7) konstant aus Süden kommt und wir auf schnurgeraden Straßen nach Osten wollen. In Arizona konnte ich die Technik bereits einmal zum Einsatz bringen, als ich meine Regenjacke bei extremen Rückenwind falsch im Chirurgenstil angezogen, den Reißverschluss aber nur zur Hälfte geschlossen hatte und dann mit Hilfe dieses improvisierten Spinnakers einige Kilometer "vor dem Wind" gesegelt bin und dabei vermutlich ausgesehen habe wie das Michelin-Männchen.

Zwei Tourenradler, die wir gegen Ende der heutigen Etappe trafen, gaben uns folgenden Tipp: "Wenn ihr nach Hutchinson kommt, könnt ihr in einer Kirche übernachten. Den Schlüssel dazu bekommt ihr in Harley's Bike Shop gleich in der Nähe." Mit Kirchen habe ich es als tief gläubiger Atheist ja nicht besonders, aber die Geschichte klang dann doch zu verlockend. Wir wollten jetzt wissen, was sich hinter dieser seltsamen Kombination verbirgt. Außerdem wußte ich bis zu diesem Zeitpunkt nichts von diesem Radladen und war natürlich heilfroh, meinen auf NULL gesunkenen Vorrat an Ersatzschläuchen (für den Anhänger) wieder aufzustocken. Also sind wir schnurstracks zu dem Radladen getingelt, wo ich erst einmal zwei kugelsichere Schläuche erstanden habe. Extra dickes Material und zusätzlich noch gefüllt mit dieser Zauberflüssigkeit, die im Falle eines Plattens den Platten heil machen soll. Ich kenne das Zeug noch nicht aus eigener Erfahrung, werde aber vermutlich bald etwas dazu sagen können. In den letzten Tagen häufen sich jedenfalls zusammen mit den herumliegenden Dornen auch die Anhänger-Platten. Ein (entfaltetes) Tempotaschentuch weist vermutlich eine höhere Durchstichfestigkeit auf als dieser elende Reifen! Bitte keine Missverständnisse: ich spreche vom Anhänger, am Fahrrad sind Schwalbe Marathon Plus-Reifen montiert, aus denen ich auch größere Dornen einfach raus ziehe und weiterfahre, während ich den Anhängerreifen schon nach sanftestem Kontakt mit einem mikrosopischen Dörnchen flicken muß. Zurück vom Schlauch zum Radladen zur Kirche. Wie ist das nun?


Der ehemalige Radladen-Besitzer war und ist eng mit der örtlichen "Zion Lutheran Curch" verbandelt und sowohl den Radlern als auch der Kirche sehr verbunden. Dabei ist folgender Deal herausgekommen: Im Gemeindesaal der Kirche hat man Betten aufgestellt, Vorhänge im "Intensivstation-Look" um die Betten-Inseln angebracht und Radreisende dürfen sich nun den Schlüssel zur Kirche im Radladen abholen und dann kostenlos in der Kirche übernachten. Der geneigte Leser möge sich (nur ganz kurz) ausmalen, was passiert, wenn er oder sie zusammen mit dem Besitzer des nächstbesten Radladens beim örtlichen Pfarrer vorspricht und ihn fragt, ob...

Die Kirche in Hutchinson bot alles, was der Tourenradler braucht: Duschen, Toiletten, eine Küche mit allem pi-pa-po, viel Platz, eine funktionierende Klimaanlage, ein großes Bett (MIT FERNSEHER :-) und RUHE! Keine Kläffer, keine Autos, RUHE! ...



Vielleicht schreibe ich ja doch noch einen kurzen Brief an die Bischofskonferenz. Aber warum kleckern? Ich schreibe gleich nach Rom. Als Beinahe-Theologe ("Prof. Ratzinger" war damals noch im Vorlesungsverzeichnis vertreten!) treffe ich bestimmt den richtigen Ton und schon bald darauf öffnen deutsche Kirchen ihre Tore für die Radler dieser Erde. Wie war das gleich wieder bei Matthäus 11,28: "Kommt zu mir, die ihr mühselig und beladen seid."

Till Senn

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Auflösung Filmzitat:

"Habt ihr ein Pferd für mich?"
"Wenn ich mich so umsehe, dann sind nur drei da. Sollten wir denn tatsächlich eins vergessen"
"Ihr habt zwei zuviel."

Der Dialog stammt aus dem Film "Spiel mir das Lied vom Tod"
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NEU in diesem Blog! Alte Fußballersprüche. Ich bin mal wieder über einen gestolpert und MUSS jetzt immer mal wieder welche in den Blog einbauen. Radl-Peter, Radl-Ingrid und Radl-Hans mögen es mir verzeihen! Ich beginne mit meinem Lieblingsspruch:

"Wir müssen gewinnen. Alles andere ist primär!"
Hans Krankl

1 Kommentar:

  1. Apropos Kirche, apropos Film: Schon mal "Alice's Restaurant" von/mit Arlo Guthrie gesehen?

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