19. August (Tag 55)

Pueblo, CO - Orday, CO

Tages-Km: 84
Gesamt-Km: 2.668
Höhenmeter: 267
Zeit im Sattel: 4:30
Wetter: Sonnig
Temperatur: H.E.I.S.S. (27 - 39° C)


HEAT - Der "Prairie Horizons Trail"
Abends wird es dunkel, am Nordpol friert man leicht und in der Prärie ist es furchtbar heiß... "Jessasmarundjos" (bayrische Kurzform für "Jesus, Maria und Joseph"), ist die Prärie heiß! Östlich von Pueblo beginnt die, hm... ostcoloradische Prärie, die später zwar zur westkansasischen Prärie, aber deswegen um kein Grad kühler wird. Prärie-komma-die-Doppelpunkt: "Unter Prärie (frz. prairie „Wiese“, „Weide“) versteht man die nordamerikanische Ausprägung der Steppe, einer Vegetationszone im Mittleren Westen der USA und Kanada. Sie bildet die östliche Randzone der Great Plains. Oft werden die beiden Begriffe im deutschen Sprachraum synonym verwendet."
Quelle: Wikipedia

Es war einmal...
... eine nordamerikanische, riesige, endlose und furchtbar heiße Steppe. Sie hieß Prärie. Prärie fläzte sich gerne, nahm ausgiebige Sonnenbäder, streckte und dehnte sich und war der auserkorene Lieblingstummelplatz für Millionen von Bisons. Das wiederum freute die Prärie-Indianer über alle Maßen, über deren Hitzelust man zwar wenig weiß, von denen aber glaubhaft belegt ist, dass sie gerne Bisonfleisch aßen. Was sich aus Sicht der Prärie-Indianer bestens traf, nachdem in der Prärie sowohl die Prärie-Indianer als auch die Bisons wohnten. "Das Gold liegt auf der Straße", sagten sich die Indianer und dann jagten sie sich ein Bison. (Was die Bisons ihrerseits von den Prärie-Indianern hielten, ist nicht überliefert, aber so schwer zu erraten ist es auch wieder nicht.) So lebten Bisons und Indianer viele hundert (oder gar tausend) Jahre zusammen in der Prärie und hatten bis auf wenige Ausnahmen ihre Freude am Leben.

Dann kam der Weiße Mann und rottete innerhalb kürzester Zeit die Bisons aus. Ratz-Fatz, alle, restlos. Die Prärie-Indianer hatten auf einmal nichts mehr zu essen, beklagten sich beim Weißen Mann und wurden kurzerhand verjagt; im günstigen Fall. Die aus dem überwiegend christlichen Teil Europas kommenden Einwanderer waren in Übung, hatten sie doch den Umgang mit unzufriedener Kundschaft jahrhundertelang ausgiebig trainiert. Ruck-zuck waren die Bisons tot, die Indianer weg und die Prärie einsam und traurig. Aber sie war immer noch furchtbar heiß. Im Sommer jedenfalls, speziell im August und ganz besonders am 19. August 2010. Heute. Also genau passend zu unserer Auftakt-Etappe durch sie: die Prärie.


Angie hat übrigens keine Koordinationsprobleme sondern produziert Kühlwasser für den Hitzkopf. Als kühler Kopf habe ICH das nicht nötig und trinke das Wasser lieber als dass ich es mir übers Haupt gieße. Aber jeder nach seinem Geschmack. Hätte ich zu diesem Zeitpunkt gewusst, dass Angie heute haarscharf an einem Hitzschlag vorbeischrammen würde, hätte ich das Kühlprogramm noch deutlich erweitert.

Wir radelten also dort, wo früher die gewaltigen Bisonherden gegrast hatten. Bisons... im Yellowstone National Park (und dann noch einmal in Colorado) habe ich sie aus nächster Nähe gesehen. Beeindruckende Tiere. Wie muß die Erde gebebt haben, wenn wieder einmal eine riesige Herde dieser mächtigen Kolosse über die Steppe jagte, weil ein paar Prärie-Indianer Hunger hatten. Schauder.

Der "Prairie Horizons Trail" folgt rund 200 Kilometer lang dem "Highway 96" bis zur Staatsgrenze nach Kansas. Der Trail ist aber weder ein eigener Radweg noch eine spezielle Route, sondern stellt einfach nur einen Ausschnitt des klassischen Transamerica-Trails dar (ich fahre eine längere Hermann-Plasa-Variante :-). Das Besondere am "Prairie Horizons Trail" besteht darin, dass man sich in den Dörfern entlang dieses Abschnittes eine Menge Gedanken dazu gemacht hat, wie man für Radfahrer möglichst attraktiv sein könnte. Überall bekommt man eine kleine Broschüre in die Hand gedrückt, in der Restaurants, Hotels, Campingplätze und sonstige "Points of Interests" entlang des "Prairie Horizons Trails" aufgelistet sind. Dazu gibt's noch Ortsplan-Ausschnitte (selbst für Orte mit 59 Einwohnern).

Auch vor dem Wetter warnt die Broschüre eindringlich: "Ost Colorado ist bekannt für sein extremes Wetter: im Winter wie im Sommer. Tornados, Sandstürme, Blitzschlag und Hagelstürme gehören zu den typischen und spontan entstehenden Wetterphänomenen dieser Region... Unbedingt ausreichend Wasservorräte mitbringen, da es immer wieder lange Abschnitte ohne jegliche Verpflegungsmöglichkeiten gibt". Dann folgen furchterregende Bilder von dunkelschwarzen Gewitterwolken, wütenden Tornados und in den Himmel ragenden Wolkenwänden, gefolgt von dem einleuchtenden Hinweis: "Wenn Sie eine der nachfolgend abgebildeten Wolkenformationen sehen, suchen Sie umgehend Unterschlupf." Ha! Und wo in der Prärie sucht man bitteschön Unterschlupf? Unter einem Bison vielleicht, das es nicht mehr gibt? Im Tipi eines Prärie-Indianers, das erstens keinen Tornado aushält und das es zweitens ebenfalls nicht mehr gibt? Gut - unter einer windigen Holzbrücke fände man Zuflucht (über "Twister" habe ich ja schon gelästert), aber entlang eines Highways GIBT es keine wackeligen Holzbrücken. Nicht einmal ANDERE Brücken gibt es hier, weil niemand so recht weiß, wozu bzw. worüber man hier überhaupt eine Brücke bauen SOLLTE! Da antworte ich - den Radlhans wird's freuen - doch gleich mit einem passenden Zitat aus dem in Sachen Realismus gleich nach "Twister" rangierenden Film "Cliffhanger" und rufe den Verfassern der Wetterwarnungen zu: "Achtung! Amateure über uns!"

EINE Unterstell- genauer gesagt Unterlegmöglichkeit habe ich dann doch noch entdeckt, aber so lange die Züge auch sein mögen, sie sind nicht immer zur zitternden Hand, wenn sich die Wolken türmen.


Ein typisches Dorf entlang des Highway 96:


Vorsicht, der Eindruck täuscht. Drei von den vier sichtbaren Gebäuden sind verlassen und fallen schön langsam in sich zusammen. Das Sterben der Dörfer und Kleinstädte, das ich vergangenes Jahr im Mittleren Westen ( südliches Wisconsin, Illinois) gesehen habe, scheint auch hier in beängstigender Form stattzufinden. Diese werdenden Geisterstädte erinnern mich an das Land "Phantasien" aus der "Unendlichen Geschichte", wo plötzlich Löcher aus "Nichts" entstehen, die immer größer werden und sich ausbreiten wie ein Pilz, der alles, was da ist, einfach auffrisst und "Nichts" übrig lässt.

Nach etwa 40 Kilometern wird Angie immer langsamer und braucht immer mehr Pausen, in denen sie sich immer weniger erholt. Die Hitze der Prärie macht ihr schwer zu schaffen. Wir waren zwei Wochen in Höhenlagen zwischen 2.500 und 3.000 Meter unterwegs, dann zwei Tage in einem klimatisierten Hotelzimmer in Pueblo. Da schlägt die Hitze zu wie ein Dampfhammer. Mit bewundernswerter Energie schleppt sich sich aber weitere 40 Kilometer bis nach Ordway, der nächsten Ortschaft mit einem Campingplatz bzw. einem kleinen Hotel, das irgendwo zwischen Mädchenpensionat, Jugendherberge und Motel liegt. Wir haben ohne großes Nachdenken das klimatisierte Zimmer mit Dusche dem heißen Zelt ohne Dusche vorgezogen und mittlerweile ist Angie schon wieder wohlauf, wenngleich ziemlich erledigt. Puh, dem Hitzschlag gerade noch entkommen. Und morgen? Wir wollen sehr früh starten und den Rest werden wir sehen. Eines steht fest: die nächsten beiden Etappen sind definitiv zwei 100-Kilometer-Etappen, weil es dazwischen einfach nichts gibt außer einer heißen Prärie ohne Bisons oder Prärie-Indianer.

Till Senn

3 Kommentare:

  1. "Achtung! Amateure über uns!": Gut zitiert, aber falscher Film - der Film heißt "Vertical Limit", ist aber durchaus aus derselben Knallkopfkategorie wie "Cliffhanger". Aus einer Filmkritik: "Logische Fehler laufen da frei rum, als wär's ein Streichelzoo, während die Berge im Hintergrund beeindruckend herumstehen, als wär' nix."

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  2. Richtig, 2Vertical Limit" und nicht "Cliffhanger". Roger, over and out.

    Hermann

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  3. HI Hermann,

    Hitzschlag
    was kann man tun?
    Wenn ich mir das Foto von Euch beiden ansehe, erkennt man,
    dass Angi doch das etwas fülligere Haupthaar trägt.
    Die wird vermutlich besser die Wärme im Kopfbereich isolieren...
    Folglich...
    Da der Helm sehr dicht an den Hauptschlagadern der Schläfen und der Stirn anliegt und somit der Effekt des kühlenenden weil verdunstenden Schweißes mindert...
    tät ich vorschlagen Angi versucht diese zitierten Partien etwas mehr / länger zu kühlen
    Rasch verdunstende Flüssigkeiten wie 4711 oder so wären hier auch sinnvoll...

    Doch grau blau sind alle Katzen in der nacht und selbstredend die Theorie..

    Aufnahme von Salz sollte man in diesem Falle auch beachten.

    Liebe Grüße

    und bleibt mir Gesund

    Joe B

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