13. August (Tag 49)

Pausentag in Silverthorne, CO

American Breakfast
Nachdem es von einem Ruhetag keine Berichte übers Radeln geben kann, erzähle ich stattdessen ein wenig vom Essen in den USA, zum Beispiel vom heutigen Frühstück im "Arapohe Café" (das SZ-Rätsel unten rechts im Bild gehörte nicht dazu).


Es geht mir allerdings weniger um den Inhalt von Tassen und Tellern als vielmehr um die Unterschiede zwischen amerikanischer und deutscher Restaurantkultur. In der Einleitung zum Blog über meine Reise entlang des Mississippi River habe ich dazu ja schon ein paar deutliche Worte gesagt; Wiederholungen an dieser Stelle sind leider unvermeidlich.

Beispiel Kaffee: Wir zahlten heute jeweils 1,90 Dollar (= 1,49 Euro laut heutigem Wechselkurs), und zwar für die GESAMTMENGE an pro Person getrunkenem Kaffee! Man zahlt den Betrag für Kaffee EINMAL und bekommt so lange nachgeschenkt (Refill), bis man platzt oder genug hat. Die Bedienungen laufen ständig mit Kaffeekannen herum und sind mit dem Nachschenken meist schneller als der Gast mit dem Austrinken (Ich bin eine der wenigen Ausnahmen). In Deutschland, sagen wir in Altötting, zahlt der Kunde zwischen 1,80 und 2,20 Euro für Kaffee, und zwar pro Tasse! Ich habe heute 4 Tassen getrunken, was 0,37 Euro pro Tasse ergibt (im Vergleich zu durchschnittlich 8 Euro in Deutschland. Viel zu hoch? Gut, sagen wir 6 Euro. Besser?). Das Qualitätsargument zählt bei weitem nicht mehr so stark wie noch vor fünf Jahren. Die Amerikaner haben in Sachen Kaffee kräftig dazugelernt.

Beispiel Service: So ist das heute abgelaufen:
Wir betreten das Restaurant, wo wir an der Empfangstheke freundlich begrüßt werden:
"Hi, two for breakfast?"
"Yes."
"Would you like to sit outside or inside?"
"Outside please."
"Sure. Follow me."
Die Dame greift sich zwei Speisekarten und geleitet uns an einen Tisch.
"What can I get you to drink?"
"Coffee please."
"Sure. Coffee is on its way."
Sie verschwindet und nach 37 Sekunden erscheint jemand mit zwei Tassen Kaffee. Nach weiteren zwei Minuten erscheint die Bedienung wieder, um die Bestellung aufzunehmen.
"So, what can I get you for breakfast?"
"I would like breakfast nr. 2; scrambled eggs, white toast and one pancake as a side."
"Yessir, and you Ma'm?"
"Well, I take breakfast Nr. 7, BUT: no eggs. I would rather have a pancake instead. And a small glass of orange juice with a straw. And a small cup of fresh fruit, but without grapes please and topped with a little bit of whipped cream."
"Sure."

In den meisten Frühstücks-Cafes in Deutschland sähe das etwa so aus (Große Ausnahme von der folgenden Tirade ist natürlich die Waldschenke in Hart! Petra und Bernd, NIEMALS würde ich...)

Man betritt das Restaurant, sucht sich einen Tisch - und wartet. Je nach Glück, Position des Tisches und Tageslaune der Bedienung dauert es zwischen einer und fünf Minuten, bis jemand zur Aufnahme der Bestellung erscheint.

"Hallo, was darf es sein?"
"Ich hätte gerne Frühstück Nummer 2, mit Kaffee."
"Gern, und die Dame?"
Bis jetzt ist alles glatt gelaufen, aber nun nimmt das Unheil seinen Lauf:
"Ich hätte gerne Frühstück Nummer 7, aber ohne Eier. Stattdessen hätte ich gerne einen Pfannkuchen. Und bitte ein kleines Glas Orangensaft mit einem Strohhalm. Und dann noch eine kleine Portion frischer Früchte, aber ohne Trauben und mit etwas Sahne dazu."
Die Bedienung sieht auf einmal aus, als hätte man ihr einen unsittlichen Antrag gemacht. Aus Sicht einer deutschen Bedienung ist eine derartige Bestellung strafrechtlich relevant und verletzt die Grundrechte "DER KÜCHE". In aller Regel folgt zumindest ein indignierter, wenn nicht empörter Blick, gefolgt von der brüsken Antwort: "Da muss ich erst einmal die Küche fragen, ob das möglich ist."

Den Rest des Bestellvorganges spare ich mir, weil jeder Deutsche das kennt. Fazit: In den USA ist die Speisekarte ein Baukastensystem mit Vorschlägen, aus dem sich der Gast sein Wunschessen zusammenstellt. Alles geht und nichts ist unmöglich. In Deutschland sind Speisekarten die gastronomische Variante der Zehn Gebote, von "DER KÜCHE" in Stein gemeißelt und von den Hohenpriestern mit vorgehaltener Kellnerbrieftasche durchgesetzt.

Beispiel Bezahlen:
USA: Irgendwann fragt einen die Bedienung: "Anything else I can do for you?"
Lautet die Antwort "No thank you", dann erhält man etwa 37 Sekunden später die Rechnung (mit der beschriebenen Seite diskret nach unten oder in einem kleinen Kunstledereinband) auf den Tisch gelegt. Um zu zahlen, kann der Gast zwischen drei Möglichkeiten wählen:
a) Geld plus Trinkgeld auf den Tisch legen / in das Kunstlederdings stecken, aufstehen und gehen.
b) mit der Rechnung ins Restaurant gehen und an der Kasse bezahlen.
c) eine Kreditkarte auf die Rechnung / das Dings legen, das die Bedienung nach ungefähr 37 Sekunden mitnimmt. Weitere 37 Sekunden später landet der Kreditkartenauszug zur Unterschrift auf dem Tisch und die Bedienung zieht sich diskret zurück. Man unterschreibt das Original, nimmt den Kundenbeleg (Kopie), steht auf und geht.

Deutschland: Zahlen? Ohne militärische Grundausbildung des Gastes kann das dauern. In meiner Kindheit hatten die Bedienungen noch diese kleinen Blöcke in der Tasche (die von Bluna waren am schönsten) und einen Bleistift hinter dem Ohr. Ein Wink des Gastes und die Bedienung zückte Block und Bleistift und begann (meist aus dem Gedächtnis) zu notieren, zu addieren, nannte den zu zahlenden Betrag, legte den Zettel als Beleg auf den Tisch, zückte die Brieftasche, kassierte, gab das Wechselgeld heraus und aus die Maus. Und heute? Moderne Technik! Im Lindenkeller in Freising zum Beispiel haben sie vor etwa einem Jahr diese elektronischen Bestellaufnahmeteile eingeführt. Was anfangs dazu führte, dass sich eine ganz normale Essensbestellung anhörte wie die ersten Sprachübungen eines Schlaganfallpatienten.
"Ich..."
"Moment, gleich..."
"Ich hätte..."
"Gleich..."
..... ..... .....
"So jetzt aber."
"Ich hätte gerne ein dunkles Weißbier."
"Ah... ja, Augenblick, Moment, ich muss ... erst einmal das ... GETRÄNKE-Menü öffnen, gleich, einen Moment noch, der Computer ... jetzt aber ... So: was möchten Sie trinken?"
"Immer noch ein dunkles Weißbier und..."
"Augenblick. Ich muss erst das Bier einprogrammieren. Ein Helles war das?"
"Fast. Ein dunkles WEISSBIER"
"Ah ja. Richtig."
Bedienung beginnt zu tippen und zu suchen. Sucht. Tippt. Tippt. Tippt...
"Wo haben die das - ein dunkles Weißbier, ja? - versteckt?"
....
Nach etwa vier Minuten sind drei Getränke IM SYSTEM erfasst. Meilenstein 1 ist damit erreicht und Phase B des "Projekts Abendessen" kann beginnen: die Erfassung der Essenswünsche IM SYSTEM. Wer ein mehrgängiges Abendessen plant, sollte zur Sicherheit eine Flasche Wasser und etwas Brotzeit für den Bestellprozess mitbringen, damit er Phase C (den Servierprozess) noch erlebt. Computer arbeiten tausendmal schneller als der Mensch und doch dauert alles länger: das Einprogrammieren der Essenswünsche in DAS SYSTEM vor und das Drücken der ENTER-Taste nach dem Essen. Ein Phänomen, das mich mit morbider Faszination erfüllt.

In der Computersprache gibt es das EVA-Prinzip: Eingabe, Verarbeitung, Ausgabe. Hier hapert es in der Gastronomie trotz (oder wegen?) aller Technik gewaltig. HAT man die Bedienung endlich erwischt (System gestartet) und HAT man ihr endlich den Bezahlwunsch mitgeteilt (Eingabe) und HAT sie endlich den Gast-Request bestätigt (Verarbeitung), dann dauert es oft noch eine halbe Ewigkeit, bis sie mit dem Ausdruck DES SYSTEMS (Ausgabe) wieder an den Tisch kommt. Ich begreife das nicht; EIN Druck auf ENTER - zack - Ausdruck - zwanzig Schritte - nach 37 Sekunden liegt der Zettel auf dem Tisch und fertig.

Till Senn

So - und jetzt stelle ich mir eine Wunsch-Speisekarte aller heimatlichen (und bekömmlichen) Gerichte zusammen, die es hier in den USA nicht gibt, nach denen es mich aber fürchterlich gelüstet und die ich mir nach meiner Rückkehr Anfang November systematisch von oben nach unten eressen werde :-)

  1. Rahmschwammerl
  2. Rahmschwammerl
  3. Dampfnudeln mit Vanillesauce
  4. Rahmschwammerl
  5. Kaiserschmarrn
  6. Spätzle mit Rahmsauce
  7. Rahmschwammerl
  8. Schupfnudeln mit Weinsauerkraut
  9. Pichlsteiner Eintopf
  10. Rahmschwammerl

P.S. Ich mag Fleisch nicht besonders...

3 Kommentare:

  1. Diese Bestellterminals der Bedienugen wäre doch ein "lohnendes Ziel" für E-Learning. Der Dialog würde dann ungefähr so aussehen:
    " ... ein dunkles Weißbier ... hmm..."
    "Einen Moment bitte, das Ding hier ist ganz neu, ich kenn mich damit noch nicht so gut aus."
    "hm ... da muss ich mir erst kurz den Lernfilm ansehen"
    " äh möchten Sie vielleicht mitschauen, die sind toll gemacht, die sind von SoGeht's ..."

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  2. reginaduenser@googlemail.com

    Dampfnudeln gibt´s dann bei uns! Oder auf Wunsch: Vorarlberger Kässpätzle, mit original Bregenzerwälder Bergkäse und gerösteten Zwiebeln.

    Weiterhin eine gute Reise!

    Achja, mein Frühstück in Stralsund hat so ausgesehen: Den Kaffee extra dazu bestellen! Aber die eigentliche Dreistigkeit war nach gefühlten 37 Minuten einen eiskalten Kaffee zu bekommen. Naja, wir sahen uns gezwungen die Bestellung trotz schlimmen Hunger gefühlen zu stornieren ...

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  3. Hallo ihr beiden;
    ich trau mich jetzt und schreib einfach auch mal. Halt, ich muss mir erst noch die Tränen abwischen. Nicht die, weil ihr mir so leid tut, sondern die vom Lachen.
    Also ich wollt auch nur sagen, dass wir heute (22. August 2010) im Wald waren- beim Schwammerlsuchen- die Mahlzeiten mit den Rahmschwammerl sind also gesichert.
    Noch eine schöne Zeit.

    Gabi und Karl aus AÖ

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