5. Oktober (Tag 102)

Tallahassee, FL – (fast) Lake City, FL

Tages-Km: 146
Gesamt-Km: 6.210
Höhenmeter: 593
Zeit im Sattel: 8:04
Wetter: Sonnig
Temperatur: 12 – 22°


Von wegen „Florida ist warm oder flach“
Heute Morgen war es für floridanische Maßstäbe außergewöhnlich kalt (11 Grad) und zum ersten Mal seit den Rocky Mountains kamen die Arm- und Beinlinge wieder zum Einsatz. Außerdem hatte ich Florida als flach in Erinnerung, mit Brücken als den einzig nennenswerten Steigungen. Von wegen! Satte 1.550 Höhenmeter musste ich seit Pensacola bewältigen, 593 davon heute. Nicht schlecht fürs Flachland. Ach ja, bevor ich es vergesse: mittlerweile bin ich in der vierten und letzten Zeitzone meiner Radreise angelangt. Ab jetzt seid ihr mir nur noch 6 Stunden voraus.

Nach rund 400 Kilometern „Highway 90“ musste ich den beinahe lieb gewonnenen Highway heute verlassen. Zum Abschied noch einmal zwei besonders schöne Seitenblicke:



Die heutige Etappe war eine Fress-Etappe. Ich habe gleichermaßen Kilometer wie Kalorien verschlungen und bin jetzt, um 21:49 Uhr rechtschaffen erledigt. Mangels geeignetem Restaurant gab’s heute erst gar nichts, dann Pizza und erst zum Abendessen Nudeln. Ich bin aus zwei dieser … hm… Giftmischereien geflohen, weil es NUR „deep fried food“ gab. Eine faustgroße Schicht erstarrten Fettes umgibt den erbsengroßen Inhalt. Ohne Hammer und Meißel besteht kaum eine Chance, dem Inhalt zu Leibe zu rücken. Hier müsste ich mit einer Hilti TE 1.500 AVR ( 1.800W, SR-Motor, 14.2 kg, 30J, AVR, TPS) anrücken, um den Fettpanzer um die Erbse zu zermeißeln.

Ich stelle mir mit Grauen vor, wie sich all das inkorporierte Fett sofort an den Innenwänden meiner Arterien anlagert wie Sekunden-Zement, den Blutdruck auf 240:239 erhöht und das Herz in den sofortigen Stillstand treibt. WIE KANN MAN DIESES ZEUG NUR IN SOLCHEN MENGEN SICH HINEINSTOPFEN? Wenn ich sehe, wie die Leute dieses… diesen… das da tonnenweise in sich hineinpressen, wird mir ganz anders. Schüttel. Würg. Durchatem. Jessas. Die Zukunft ist ein Abgrund.

Die Kehrseite des Fettverweigerns durfte ich dann auf den letzten 35 Kilometern spüren. Nachdem der Körper irgendwann auch die letzte Kalorie des Frühstücks und dann des eher untauglichen Pizzastückes verbrannt hat, aber kein Nachschub in Sicht war – weder Briketts, noch Holz, noch Späne, noch Papier - hat er auf Sparflamme geschaltet. Diesen „Shutdown“ kennt jeder, dem während des Radlens, Bergsteigens, Joggens, Schwimmens oder Skatens schon einmal der Saft ausgegangen ist. Mit einem Schlag sind die Batterien leer und Zeitraffer wird binnen Minuten zu Zeitlupe. Alles wird schwerfällig, träge, mühsam, anstrengend, schleppend. Für die kleinsten Steigungen musst Du in den kleinsten Gang schalten, Anfahren nach einer Trinkpause scheint unmöglich und der Blick auf die Karte bzw. das Wissen um die noch verbleibenden Kilometer bis zum Erreichen des Tagesziels löst Depressionen aus.

Die letzten 35 Kilometer heute waren unglaublich zäh, aber irgendwann waren sie rum und jetzt ist alles längst vorbei und ich freue mich schon wieder auf morgen.

Habe ich schon erwähnt, welches Glück ich diesmal mit dem Wetter habe? Das werdet ihr in Deutschland natürlich nicht gerne hören, ich weiß. Aber es ist nun mal so und ihr müsst das jetzt ertragen. In 102 Tagen hatte bislang nur zwei richtige Radel-Regentage (Regentage während der Pausentage zähle ich nicht mit) und ein paar Mal Nieseln oder Tröpfeln und immer mal wieder Wolken. Meistens aber: Sonne. Letztes Jahr (Mississippi River Trail) hatte ich extrem viel Pech mit dem Wetter. Dieses Jahr nur Glück, jedenfalls bis jetzt. Aber was soll jetzt schon noch passieren. Die Hurrikans sind für dieses Jahr durchgezogen und kalt ist es in Florida (wenn überhaupt) nur im Januar und Februar - und heute.

Sunny Boy

2 Kommentare:

  1. hey man,

    nice to read ...
    und gut, dass Du die letzten 35 km durchgestanden hast - lieber fastenfahren auf'm hungerast asl herzinfarkt auf'm Fritteusen-drive-in... - aber die entscheidende Frage überhaupts: gibts in Florida keine Snickers???

    Klar kannst Du Beverly und Pete ein bisschen was erzählen (gestern)- Pete ist ja auch nur in Idaho (oder war's Iowa) ein bischen rumgeradelt (just kidding Pete, I know you are a very strong cyclist ;-)... und dU hast mittlerweile die erfahrung von 12 US-amerikanischen und 2 kanadischen Bundesstaaten ! (nur auf dieser Reise, die anderen nicht mitgezählt..)

    .. und gestern gab's ja auch ein paar Schmuntzel-besonderheiten: von Tallahassee über Papst Johannes XXIII. zum Pillen-Paul und von der Zwei-Eier-Stadt über Blondinen-Tankstellen bis zu einem Touch an Allman-Brother's-Land ....

    außerdem zieh ich mal wiecer meinen Hut vor diesen Tageskilometerdurchschnitten und (!) Höhenmetern - hammerHART!
    das mit dem Wetterglück freut mich besonders - es sei Dir weiterhin hold - hosdas ah daarbat und vadient - z.B de lezdn 30 kilomädda!

    keep on... schaulaufen !
    Radl-Be

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  2. Herm, mir ist grad noch was aufgefallen: du musst dir das letzte Joe's weekly nochmal genau anschauen... wo wärst Du jetzt, wenn Du ab dem Knick vor Pueblo weiter nach Süden gefahren wärst ... oh wie schön ... mindestens ein guater Maler... ;-)
    Radl-Be

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