16. Oktober (Tag 113)

Titusville, FL – Melbourne, FL

Tages-Km: 75
Gesamt-Km: 6.847
Zeit im Sattel: 3:46
Wetter: Sonnig
Temperatur: 17 – 26°C



“You cycled all the way from Germany? “


„Cape Canaveral“. Das war zwar noch vor meiner (Fernseh-)Zeit. Dennoch ein klingender Name. Seit Apollo 8 (1968) starteten die Raketen dann vom Nachbar-Weltraumbahnhof, dem „Kennedy Space Center“. Ich kann mich noch gut erinnern, dass wir als Kinder mitten in der Nacht nur aus zwei Gründen aufstehen und vor der Glotze sitzen durften: „Cassius Clay“ (später dann Muhammed Ali) oder „Apollo“. Morgens um 3:00 Uhr vor dem Schwarz-Weiß-Röhrenbildschirm einem endlosen Countdown zuzusehen, zählt nicht unbedingt zu den großen Momenten im Leben eines 9-jährigen, aber es war dennoch etwas Besonderes. Die Vorstellung, dass irgendwo, vermutlich auf der anderen Seite dieser unendlich großen Welt, in Amerika!, das also dort in eben diesem Moment eine Rakete mit drei Astronauten an Bord darauf wartet, die Erde in Richtung Mond zu verlassen, hat mich über alle Maßen fasziniert. Wer will noch Lokomotivführer werden, wenn es Raketen gibt? Dann der Höhepunkt, die Mondlandung von Apollo 11 am 20. Juli 1969. Richard Nixon war damals noch Präsident der USA. Mann, bin ich alt.

41 Jahre später radle ich nur wenige Kilometer entfernt an der Stelle vorbei, an der damals nach „Two… One… Zero“ diese so zierlich wirkende weiße Nadel in einem Flammenmeer das Kennedy Space Center unter sich zurück gelassen hat, zuerst in Super-Zeitlupe, dann in Zeitlupe, dann in Normalgeschwindigkeit und schließlich im Zeitraffertempo.

Nach knapp 20 Kilometern kam das erste Miami-Schild:


Noch 205 Meilen (330 Kilometer) bis zur letzten Bastion vor den Keys. Mehr als überschaubar. Zum Spaß habe ich mal die Hotelpreise in Miami Beach erkundet. HAHA! Da würde mir mein Geschäftspartner was erzählen, wenn ich da ein paar Tage für 270 Dollar pro Nacht residieren würde. Die spinnen, die Miamianer. (Jaja, klar gibt es auch billigere Unterkünfte, ich weiß.)

Kurz nach dem Miami-Schild winkte mir eine am Straßenrand parkende Autofahrerin zu und gibt mir zu verstehen, ich möge bitte anhalten. Das Auto war nicht pink, die Lady sah seriös aus, also habe ich angehalten. Sie kurbelte das Fenster herunter und sagte:„Die Ampel vor dem Bahnübergang da hinten ist immer rot und die Schranke geht nicht hoch. Können sie mir sagen, wie ich zu (es folgte der Name einer Firma) komme?“.
Ich kläre die Dame kurz über meine Nationalität im allgemeinen, meine Ortskenntnis im Besonderen sowie den Hintergrund meines lustigen Erscheinungsbildes auf und sie fragt: „You cycled all the way from Germany?”
“Well”, antworte ich, “there was this small inconvenience called ‘Atlantic Ocean’ so I choose to fly into the United States.”
Man konnte förmlich hören, wie die Relais klickten und im Fach Geografie vergeblich nach einer Stadt oder einem Land namens “Atlantik” gekramt wurde. Atlantis vielleicht?

Dass mich Leute fragen, ob ich den ganzen Weg von Deutschland nach Amerika geradelt bin, erstaunt mich mittlerweile nicht mehr, es erschüttert oder amüsiert mich – je nach Tageslaune. Aber die vielen Ortskundefragen haben mich - bis heute jedenfalls – immer wieder aus dem Konzept gebracht. Alle paar Tage fragen mich Leute nach dem Weg. MICH! Sehe ich mit meinem vollbepackten Tourenrad samt Anhänger aus wie jemand aus der Gegend? JA! TUE ICH! Alles nur eine Frage des Blickwinkels und der Kenntnis des Phänomens „Selektive Wahrnehmung“. Die Leute, die mich fragen, haben sich verfahren bzw. sind orientierungslos. Auf einmal sehen sie einen Radler – und die selektive Wahrnehmung schlägt zu. Dass jemand mit einem Rad weiter als drei oder fünf Kilometer fährt, ist für den durchschnittlichen Amerikaner einfach nicht vorstellbar: „Rad“ = „wohnt hier“ = „kennt sich hier aus“. Die komischen Auswüchse an den Seiten und am Ende des Rades kürzt die selektive Wahrnehmung einfach weg und reduziert das Ganze auf „RAD = VON HIER“.

Nochmal kurz zurück zur Überquerung des Atlantiks mit dem Fahrrad. Gäbe es eine Brücke nur für Radler, würde ich es tun! An dieser Stelle sei mir die komplett verzerrte Wiedergabe eines Witzes erlaubt. Ich gehöre zu den schlechtesten Witzeerzählern auf diesem Planeten. Nur ein pensionierter Lehrer aus Altötting ist noch schlechter. Alle meine Witze beginnen damit, dass ein Mann am Strand spazieren geht und eine Flasche findet, in der ein Flaschengeist eingesperrt ist. Fertig? Drei – zwei – eins – los:
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Ein Mann geht am Strand spazieren und findet eine Flasche. Er öffnet sie und heraus kommt ein Flaschengeist. Der Flaschengeist sagt zu dem Mann: „Ich war tausend Jahre eingesperrt und Du hast mich befreit. Du hast einen Wunsch frei.“
Der Mann überlegt kurz, guckt hinaus auf den Ozean und sagt: „Ich möchte eine Brücke über den Atlantik.“
Der Flaschengeist starrt den Mann völlig entsetzt an und erklärt ihm lange und breit, warum das absolut unmöglich sei: zu tief, zu lang, zuviel Beton, zu wenig Schiffe, verheerende Stürme undsoweiter-undsofort. „Wünsch Dir etwas anderes“, sagt der Flaschengeist schließlich.
Der Mann überlegt. „Gut“, sagt er dann „ich will die Frauen verstehen.“
Der Flaschengeist schließt die Augen und sagt: „Willst Du die Brücke 4- oder 8-spurig?“
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Aus dem Leim
So langsam fällt meine Ausrüstung auseinander. Moment! Das Rad hält sich SEHR gut. Das Lenkkopflager hat ein wenig Spiel, aber sonst – ich bin beeindruckt. Keinerlei Zicken. Der Anhänger macht mir dafür umso mehr Sorgen. Das Reifendrama mit Platzwunde, Verband und Notoperation habt ihr ja live miterleben dürfen. Der neue Reifen hat derart viel Profil, dass das Schutzblech nicht mehr drüber passt. Also habe ich es abmontiert.

Was mir erheblich mehr Kopfzerbrechen bereitet hat: das Gestänge ist an zwei Stellen verschweißt. Eine der beiden Schweißnähte ist gebrochen und der Alles-Reparierer Florian Pfingstl ist nicht hier. FLORIAN! Willst du nächstes Mal nicht einfach mitradeln. Du bekommst meinen Anhänger für Deine Werkstatt. Was meinst Du?

Wann ist die Schweißnaht gerissen? Keine Ahnung. Aufgefallen ist es mir vor etwa zwei Wochen. Also kann auch schon in Kanada passiert sein. Wer weiß. Als ich in Cocoa bei „Auto&Trucks Parts“, einer Art „Stahlgruber“, vorbei kam, habe ich die Gelegenheit beim Schopf gepackt und einen der Angestellten gebeten, sich doch kurz die Sache anzusehen. (Lustig, der Gedanke, das mal in Deutschland als völlig verschwitzter ausländischer Radler bei einem Stahlgruber zu probieren. „Kundendienst hoaßt für mi, dass da Kunde dient! Host mi? Und jetzt schleichst Di!“) Ich habe gleich den Chef erwischt: Ken Weldon. „Sure“, hat er gesagt, ist mir raus gegangen und hat sich die Sache angesehen. Dann sagte er: „Wait a minute. I think I have something for you“, verschwand kurz im Laden und kam dann mit einer riesigen Schlauchschelle an, die jetzt für die restlichen zwei Wochen die gebrochene Schweißnaht kompensieren und den Anhänger stabil halten soll. Ken Weldon ist auf Anhieb zu erkennen, die Schlauchschelle rechts neben der abgeschnittenen Flasche vermutlich erst nach Vergrößerung des Bildes.


Muß ich erwähnen, dass Ken kein Geld haben wollte? Versuch das mal beim Stahlg… Aber lassen wir das.

Was die Fahrrad-Reifen betrifft, so steht selbst nach fast 7.000 Kilometern der erste Platten immer noch aus. Aber der Hinterreifen ist schon verdammt abgewetzt.


Schwalbe Reifen bekomme ich hier nirgendwo. Also hoffe ich, dass er die zwei Wochen noch durchhält. Wenn nicht – kein Problem. Dann kommt der Vorderreifen eben auf die hintere Felge und der Ersatzreifen vorne drauf.

Nach drei Jahren und über 16.000 Kilometern USA-Einsatz dürfen auch die Taschen langsam die ersten Zeichen von Verschleiß zeigen. Sie mussten viel ertragen und haben sich prächtig gehalten.


Zur Etappe gibt es natürlich auch noch ein wenig zu erzählen. Es war mal wieder eine „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ Etappe. Wunderschöne und potthässliche Abschnitte gaben sich die Klinke in die Hand.

Zum Schluss muss ich euch ausnahmsweise noch mit Bildern meines Hotelzimmers belästigen, einfach weil es SO GENIAL ist! Ich habe bewusst ein Flughafen-Hotel den völlig überteuerten Hotels an der Küste vorgezogen. Hier lässt es sich ungestört arbeiten, was ich morgen ausgiebig tun werde. Radeln am Meer entlang wäre am Sonntag ohnehin kompletter Unsinn. Das hebe ich mir für Montag (oder Dienstag?) auf.

Das erste Bild zeigt den Blick von der Türe ins Zimmer: geräumig, elegant, sauberst und geschmackvoll eingerichtet, hervorragender PC-Arbeitsplatz (pfeilschnelle Kabelverbindung, erstklassiger Schreibtischstuhl, großer Schreibtisch), Wohnzimmer mit Couchgarnitur, Sitz-Liegestuhl, begehbarer Schrank, Badezimmer …


… und eine komplett eingerichtete und gut ausgestattete Küche:


Hier bleibe ich, ich will nicht anders.

Till Senn

5 Kommentare:

  1. Hallo Hermann,

    Dein Publikum schweigt - wahrscheinlich ist es baff und staunt. Oder außer Puste allein vom Zuschauen. Stellt sich die Frage: Wie lässt sich das Ganze in ein "Vortragsformat" bringen? Eigentlich kann man gar nichts weglassen. Kommst Du bei dieser Gelegenheit gen Kölle? Den Termin merke ich mir dann mal vor.

    Die "hupferten Mamaladnglasln" vom Meier Joe hob i brav übersetzt für die Rheinländer. Es wird Zeit für DAS bayrisch-kölsche Wörterbuch. Wer macht mit?

    "... und bin aufs Radl aufigsting und einfach losgfahrn" - singt grod der Haindling.
    Also denn, weiterhin gute Fahrt und keine Platten oder sonstigen Widrigkeiten mehr!
    Viele Grüße
    Maria

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  2. Liebe Maria,

    vielen Dank für die anerkennenswerte Entwicklungshilfe in der sprachlichen Diaspora. In den USA wären die "hupferten Mamaladglasln" vermutlich "jump'n jam jars". Ob ich in Köln von meiner Reise erzähle, hängt von den Kölnern ab, die mich dazu engagieren müßten. Ich werden den ADFC dort auf jeden Fall anschreiben. Allerdings ist meine Vortragssprache 100% Bayrisch. Könnte interessant werden.

    Hermann

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  3. ... eiwei - sie verstehen diese Sprache hier nicht. Da sind die Kölner eigen. Deshalb rate ich dringend zu einem "Untertitel", solltest Du in diese Gegend kommen.
    Viele Grüße
    Maria

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  4. Hello Hermann, glad I could help you on your way. I hope that the hose clamp holds until you can make a proper fix. If I had my welding tools I could have made a more permanant repair. The offer to put a motor on your bike still stands ( big smile). Anytime you pass by on your next trip please stop in. You are always welcome at my NAPA store.
    Ken Weldon, Store Manager at Cocoa NAPA

    I will try Google translate:

    Hallo Hermann, froh, ich könnte Ihnen auf Ihrem Weg zu helfen. Ich hoffe, dass die Schlauchklemme, bis Sie eine passende Lösung kann hält. Wenn ich meine Schweißwerkzeuge hätte, könnte ich eine dauerhafte Reparatur vorgenommen haben. Das Angebot mit einem Motor am Fahrrad setzen noch steht (big smile). Immer, wenn Sie von Ihrer nächsten Reise Pass bitte auf Stop Du bist immer bei mir NAPA speichern willkommen.
    Ken Weldon, Store Manager an Kakao NAPA

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  5. Help! "Bitte auf Stop" - das ist ja eine schöne Sa.... - Übersetzung.

    Lieber JoeB - sorry für den "Meier" mit "ei".

    Grüße
    Maria Fuchs

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